Über die Liebe, Robert Schrem

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PyramidLaunchCrew
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Registriert: Do 10. Mär 2011, 20:10

Über die Liebe, Robert Schrem

Beitrag von PyramidLaunchCrew »

Sie sieht unverschämt gut aus.
Sie beschenkt sich selbst, weil sie andere beschenkt. Sie lebt in allen Zeiten. Wenn sie eine Uhr sieht, dann montiert sie immer die Zeiger ab. Sie schlüpft hinein in wen sie will. Kommt und geht wie es ihr gefällt. Am frühen Abend schlägt sie die Beine übereinander und wippt mit dem Fuß während sie ihrem Gegenüber ins Gesicht lächelt.
Nie denkt sie an sich selbst weil sie immer nur für die anderen lebt – so ist sie.
Sie entzündet gerne, und zwei Minuten später löscht sie die fragende Flamme der Antwort. Noch niemals hat sie etwas erklärt. Sie schenkt nur immer Namen, die sie fein in samtenes Geschenkpapier einwickelt.
Den Kampf kennt sie aus einem früheren Leben. In der Gegenwart wählt sie meist das Loslassen zu ihrem Partner weil er ihr als einziger von der frischen, kühlen Luft am Meer erzählen kann.
Als Kind hatte das Loslassen sie oft geärgert, da sie noch im Haus des Absoluten wohnte.
Ihr Vater ist der Glaube. Ihre Mutter, die Leidenschaft, hat sie damals das -Alles in einem- gelehrt. Das hat sie nie mehr vergessen. Ihr Vater begleitet sie noch heute jede Nacht in ihren Träumen.
Ihr Bruder, der Hass, ist schon als Kind gestorben. In seinem letzten Brief stand, dass er sie nicht länger ertragen könne. Jedes mal, wenn sie an den Hafendocks spazieren geht, muss sie an ihn denken und umarmt ihn in Gedanken voller Güte und Gleichmut.
Sie besucht jede Feier, zu der sie eingeladen wird, denn sie geht ganz auf in jeder Art von Kurzweiligkeit und Vergnügung. Aber sie kommt niemals in Begleitung, obwohl sie viele Verehrer hat.
Wenn sie sich verausgabt hat, dann schläft sie manchmal auf dem Boden ein. Sie kann tagelang schlafen, ganz gleich wo. Eines morgens wacht sie dann auf, wenn ein Sonnenstrahl ihre Nase kitzelt, weil er ihre Neugier entdeckt hat.
Sie macht keine großen Worte. Mehr fühlt sie sich zu den Gesten hingezogen. Oder zu dem roten Abdruck von Lippen auf einem Sektglas.
Vor langer Zeit machte sie die Nacht zu ihrem Gefährten, als diese ihr anbot, sie könne in ihr unbemerkt bleiben. Sie kann zaubern, aber seit sie erwachsen ist, macht sie es nur noch ganz selten. Überhaupt prahlt sie nicht mit ihren Vorzügen. Wenn sie manchmal einen Spruch aufsagt, dann fühlt sie sich wie ein Landschaftsmaler und muss leise kichern. Dann erinnert sie sich an alte Zeiten. Als sie noch auf der Strasse mit selbstgemalten Bildern ihr Geld verdiente. Heute sitzt sie lieber müßig in einem Strassencafe und beobachtet die Leute.
Ihre schlanken Finger ziert ein filigraner Ring aus Silber. Bei genauerem Hinsehen sieht man einen vollkommenen Kreis mit einem Punkt im Zentrum des Kreises als Relief.
Vor kurzem lernte sie den Vater des Wortes kennen. Sie faszinierten einander, und doch sah jeder im anderen nichts als Unvollkommenheit. Weil sie aber in allem das Gute sieht ging sie schnell dazu über, sich selbst als Ausgleich zu der Macht des Wortes und seinem Vater zu betrachten.
Sie trägt alle Namen und hat noch mehr Gesichter. Es gibt keine Sprache die sie nicht perfekt beherrscht, was sie aber niemandem verrät. Fast schämt sie sich für ihre Fähigkeiten.
Viele Leute sind von ihr verschreckt. Das kränkt sie, und doch würde sie sich niemals selbst verleugnen, denn sie kennt ihren Auftrag.
Manche Leute trampeln sogar über sie. Dann denkt sie dass es Absicht gewesen sein muss, weil sie sich selbst für anmaßend hält. Dann schaut sie sich im Spiegel ihre tiefgrünen Augen an und überlegt warum sie so rastlos ist.
Viele ertragen nicht wie stark und intensiv sie ist. Wenn sie es mitbekommt, dann wird sie traurig und fühlt sich unverstanden.
Sie hat eine beneidenswerte Gesundheit. Sie kommt immer wieder schnell auf die Beine, ganz gleich wie krank sie war. Sehr oft ist sie unbeständig und sogar launisch.
Wer sie treffen will muss schnell reagieren, denn sie ist nie lange an einem Ort, wenn man sie nicht beachtet. Aber es gibt auch einige, wenige Momente, die sie sich aber genau aussucht, in denen für sie alles perfekt scheint. Dann nimmt sie ihre Freundin, die Anmut mit dorthin, und beide hinterlassen mit einem schelmischen Grinsen eine verschlüsselte Botschaft.
Sie sieht unverschämt gut aus.

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