Ein Zimmer im Zentrum zu vermieten, Christine Matha

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little pearls
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Registriert: Sa 17. Sep 2011, 13:15
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Ein Zimmer im Zentrum zu vermieten, Christine Matha

Beitrag von little pearls »

Ein Zimmer im Zentrum zu vermieten

Das Haus, wo ein Zimmer frei sein sollte, lag in einer engen Seitengasse, unfern von der Via del Corso und den anderen parallel verlaufenden Prachtstraßen im Zentrum von Rom. Die Monatsmiete war äußerst günstig, aber das Haus machte den Eindruck eine Sanierung bitter notwendig zu haben. Von außen fiel das nicht weiter auf, denn an Fassaden mit stellenweise abgefallenen Verputz gab es in Rom eine große Auswahl, aber schon im Treppenhaus hatte ich das Gefühl einer bedenklichen Verwahrlosung. Die Wände waren grau-schmutzig und die alten Steinstufen rissig und abgetreten. Doch was konnte man schon in den 60er Jahren für ganze 5.000 Lire Miete im Monat verlangen? Hauptsache für mich war eine Bleibe zu finden, wo man nicht gleich wieder rausgeschmissen wurde, weil sich herausstellte, dass man als Untermieter bei anderen Mietern wohnte, die keine Erlaubnis zum Weitervermieten haben. Das war mir in meiner naiven Unwissenheit auch schon einmal passiert. Ich hatte zwar ein geräumiges und sauberes Zimmer gefunden, aber leider kam nach wenigen Tagen der Hausherr bei mir vorbei und forderte mich auf die Wohnung umgehend zu räumen. Meine unrechtmäßigen Vermieter hatten zwar das Monatsgeld kassiert, waren aber zwischenzeitlich verreist und so stand ich ohne Wohnung und mit weniger Geld samt meinem Koffer wieder auf der Straße und musste froh sein in einer zwielichtigen Pension in einem nicht gerade empfehlenswerten Viertel Nähe der Stazione Termini für ein paar Tage unter, zu kommen. Dort gab es Nacht für Nacht ein sehr reges Leben, Türen gingen ständig auf und zu, dazwischen hörte man Gelächter und Stimmengewirr, aber ich war jung und müde von all dem Neuen, was die Großstadt ausmacht und so dauerte es nie lange bis ich trotz des Lärms in den Schlaf des Gerechten fiel.

Die zwei alten Schwestern Siena waren Eigentümerinnen einer sehr geräumigen Altbauwohnung und besserten mit Zimmervermietung ihre armseligen Renten auf. Sie schienen beide uralt zu sein und dementsprechend sah auch ihre Wohnung aus. Das Wohnzimmer war vollgestopft mit dunklen und sperrigen Möbeln unbestimmten Stils, deren spiegelglatte Politur von einer leichten Staubschicht überzogen war. Die zwei Schwestern überboten sich in Freundlichkeit und stellten sofort die „ Mocca“ auf den Gasherd, um mir einen Espresso anzubieten. Sie erzählten mir, dass noch zwei weitere Untermieter aus Süditalien bei ihnen wohnten, eine, so sagten sie, sehr bekannte Malerin mit ihrem Bruder, der in Rom studierte. Später, als ich die beiden zufällig einmal im Treppenhaus traf, hatte ich den Eindruck, dass es sich nicht um Geschwister handelte, dazu waren sie miteinander zu intim zärtlich, aber es war anzunehmen, dass sie gemogelt hatten, um ein so billiges Quartier in der Innenstadt zu finden. In den 60er Jahren war das Leben in Rom um Vieles unbürokratischer und lockerer und ein Zimmervermieter fragte nicht immer sofort nach dem Personalausweis, oft fragte er überhaupt nicht danach, Hauptsache man zahlte im Voraus.
Sie zeigten mir das Zimmer, genauer gesagt, eine umfunktionierte Besenkammer, die gerade genug Platz bot für ein schmales Bett mit Nachtkästchen und einer Kommode; ein Schrank hätte nicht mehr hineingepasst. In der Ecke stand als Ersatz ein Kleiderständer und auf mein zögerndes Schweigen hin, sagten die Schwestern fast zugleich, dass in ihrem Wandschrank auf dem Gang noch Platz genug für meine Garderobe wäre. Ein winziges Fenster ließ gerade soviel Licht herein, dass es ein bisschen zimmerähnlicher aussah, obwohl das Fenster nur den Ausblick auf das Treppenhaus bot; keine reizvolle Aussicht, wenn ich an die späten Heimkehrzeiten der Römer dachte ...
Trotzdem, es war sehr billig und zentral gelegen, und bei meinem bescheidenen Einkommen, als soeben eingestellte Büroschreibkraft auf Probezeit, gab der Preis den Ausschlag. Die zwei Schwestern waren meine Garantie für Nachtruhe, sie wenigstens würden früh schlafen gehen. Ansonsten wäre es wohl ein Problem geworden, weil eine der beiden ziemlich schwerhörig war und der Fernseher (das Gerät, das in keiner italienischen Familie fehlen durfte) immer in voller Lautstärke von frühmorgens an den ganzen Tag pausenlos lief.
Anna, die Jüngere, aber ich fand eigentlich keinen großen Unterschied im Aussehen, weil man als junger Mensch die Alten irgendwie mehr oder minder anonymisiert und so beide auf mich vergrämt und verknöchert wirkten, war Schneiderin gewesen und nahm immer noch kleine Näharbeiten an, wobei sie jammerte, wie schwer ihr die Arbeit, die ihr einmal so leicht von der Hand gegangen war, jetzt wegen ihrer schwach gewordenen Augen fiel. Und resigniert sagte sie, sie wären auf diesen Nebenverdienst ebenso angewiesen wie auf die Zimmervermietung. „Ja, mein liebes Fräulein, wir haben auch schon mal bessere Zeiten gesehen, aber leider hat sich unser Vater, Frieden sei seiner Seele, schlecht beraten lassen und über Nacht sind wir dann arm geworden, weil er sich an der Börse verspekuliert hat. Sie können mir glauben, dass Armut im Alter das Schrecklichste ist, was einem passieren kann. Wenn man jung ist, ist alles im Leben leichter, denn da kann man immer hoffen, dass es besser wird, aber was sollen wir noch hoffen? Höchstens, dass wir nicht zu viele Medizinen kaufen müssen, die wir uns gar nicht leisten könnten und es schaffen bis zum Monatsende irgendwie durchzukommen. Aber lassen wir es laufen, wie es halt kommen will, so kommt es eben. Hauptsache, Gott vergisst uns nicht ganz, dann geht es irgendwie immer weiter."
Einmal kam auch zur Sprache, dass sie jüdisch waren und mich nur aufgenommen hätten, weil ich nicht aus Deutschland kam. Ich war für sie “die Österreicherin“ aus dem hohen Norden Italiens, und das war gerade noch akzeptierbar, wenngleich Österreich sich auch nicht ehrenhaft benommen hatte. Aber ganz unschuldig an dem, was man mit den Juden gemacht hatte, war da niemand, auch die Italiener waren nicht stubenrein und sie beide hatten damals nur großes Glück gehabt und waren einfach „vergessen“ worden, wie die ältere Schwester ernst und ironisch kommentierte.
Morgens boten sie mir immer schwarzen Kaffee an, den ich nicht wagte, abzulehnen, obwohl ich gerne darauf verzichtet hätte. Zum Teil, weil ich schwarzen Kaffee nicht mochte und zum Teil, weil sie ihn in Gläsern tranken, eine römische Gewohnheit, mit der ich mich nicht anfreunden konnte. Trotzdem, ich konnte ihrem Kaffee nicht ausweichen, weil sie beide eine sehr resolute Art hatten, die keine Absage zuließ: Ich glaube, sie hätten es als Beleidigung aufgefasst, wenn ich dieses tägliche Ritual nicht befolgt hätte.
In der Wohnung gab es immer einen seltsamen Geruch, den ich nicht definieren konnte; ich dachte, dass es mit der seltenen Lüftung zusammenhängen musste, denn die Jalousien waren wegen der Sommerhitze auch untertags geschlossen und die Fenster wurden wegen des Straßenlärms auch nur selten geöffnet.
Einmal trat ich, nachdem ich vergeblich angeklopft hatte, ins Wohnzimmer um meine fällige Miete zu zahlen; als ich neben der Nähmaschine mit dem Gesicht halb abgewandt einen alten Mann im Rollstuhl sah, dem ich nie vorher begegnet war und von dessen Existenz mir die Schwestern nie etwas gesagt hatten. Der Mann bewegte langsam den Kopf und starrte mich mit ausdruckslosen Augen an, sein Gesicht war voller Bartstoppeln und seine Schwester war gerade dabei, es einzuseifen. Er war noch im Pyjama und verbreitete im Zimmer einen derart penetranten Körpergeruch, sodass mir gleich klar war, woher der Gestank in der Wohnung kam.
Ester, die Ältere, die mir weniger sympathisch war, weil sie ein hochmütiges Auftreten hatte und ihre Schwester immer herumkommandierte, schien über mein Erscheinen überhaupt nicht erfreut zu sein. Sie stellte mir den Kranken als ihren ältesten Bruder vor, ohne weitere Kommentare über seinen Zustand abzugeben.
Die Schwestern versorgten ihn anscheinend allein, weil sie zu arm waren, um sich fremde Hilfe leisten zu können und so musste der Bruder jahraus, jahrein in seinem Zimmer hausen, weil die Wohnung im dritten Stock lag und es natürlich keinen Aufzug gab und vermutlich auch keine anderen jüngeren Verwandten, die ihnen bei seiner Betreuung hätten helfen können. Der Mann hatte bei aller Magerkeit eine imposante Körpergröße und es war vorstellbar, dass die Schwestern ihn nur oberflächlich waschen konnten, daher also dieser Geruch; ein Gemisch aus penetranten Männerschweiß und anderen körperlichen Ausdünstungen.
Ich hatte nicht die Zeit einen eingehenderen Blick auf ihn zu werfen, denn Ester schob ihren Bruder auf dem Rollstuhl sofort wieder weg ins Nebenzimmer, als ob sie sich für seinen Zustand vor fremden Leuten schämen müsste. Und sie nahm augenblicklich wieder ihre souveräne Haltung ein und kassierte das Mietgeld, allerdings ohne mir wie üblich einen Kaffe anzubieten, dazu hatte sie diesmal wohl keine Lust mehr. Ich nahm mir vor bei Gelegenheit die jüngere Schwester zu fragen, was mit dem Bruder passiert war, aber als es dann dazu kam, war auch Anna sehr vage und sagte nur, dass der Bruder nach dem Tod seiner Frau schwer krank geworden sei und niemand mehr habe außer ihnen.

In der Wohnung gab es sogar eine Art von Badezimmer, was in den Altbauwohnungen nicht immer zur Ausstattung gehörte. Allerdings, die Lust zum Baden verging mir schnell; die Badewanne war voll bräunlicher Ablagerungen und wurde, wenn überhaupt dann nur oberflächlich gereinigt, sodass es viel Überwindung kostete sich darin zu waschen. Das Einzige, was einigermaßen sauber gehalten wurde, war die Kloschüssel. Nachts, wenn ich zufällig mal aufstehen musste, hatte ich mit mir zu kämpfen, um den Ekel zu überwinden. Ich wusste, dass ich nur das Licht anzuknipsen brauchte und schon liefen sie geschwind durcheinander, die verhassten Küchenschaben, die römischen „bacarozzi“, um sich blitzschnell in alle Ecken zu verkriechen.
Ich hatte schon öfters versucht mit einem, unter dem Waschbecken herumliegenden Wischlappen, den Boden zu säubern, aber es war ein aussichtsloses Unterfangen, die Fliesen waren so verdreckt, dass mein Herumwischen wenig Wirkung hatte.
Nach zwei Monaten verließ ich mit einer gewissen Erleichterung die Bleibe bei den Schwestern Siena; endlich hatte ich eine bessere, wenngleich ein bisschen teurere Unterkunft gefunden.

Es vergingen einige Jahre, ich hatte Rom verlassen und war in den Norden gezogen, nicht ohne die Sehnsucht nach dieser Stadt mitzunehmen, nach ihrem immer chaotischer werdenden Verkehr, bei dem ich gelernt hatte, zwischen den Autos hin und her zu springen und ihrer perlend lebensfrohen und zugleich so trägen Atmosphäre, eine Sehnsucht die mich noch jahrelang bis in die Träume hinein verfolgen sollte.
Dann bei der ersten Gelegenheit trieb es mich wieder nach Rom, diesmal aber als Touristin für einen kurzen Urlaubstrip und schon am zweiten Tag nach meiner Ankunft suchte ich auch die kleine Nebenstraße wieder auf, wo ich damals bei den zwei Schwestern gewohnt hatte. Aber statt des alten Hauses mit dem abgebröckelten ockergelben Verputz gab es dort eine Baustelle, und ich konnte nicht sehen, was hinter dem eingezäunten Gerüst vor sich ging, sehr wahrscheinlich war der alte Bau abgerissen oder bis auf die Mauern ausgehöhlt worden und an seiner Stelle entstand etwas Neues.
Sogar meine kleine, bescheidene Bar an der Straßenecke, wo ich mir nach dem ungeliebten Espresso der „Sor `Anna“, zum Ausgleich oft einen cremigen Cappuccino gegönnt hatte, war nicht mehr vorhanden. An seiner Stelle stand eine nagelneue Stehbar, die mir bewusst machte, dass die Zeit auch in der Ewigen Stadt sich nicht zurück drehen lässt.

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