Ein Umzug mit Folgen

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little pearls
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Ein Umzug mit Folgen

Beitrag von little pearls »

Ein Umzug mit Folgen
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Ein komisches Gefühl, ich sitze auf dem noch nicht abgeholten Sofa, inmitten Dutzender aufgestapelter Kartons, sitze mir allein gegenüber und warte.
Die Wohnung in der ich vierzehn Jahre lang gelebt habe, steht jetzt leer und abgenutzt da und wartet auf die neuen Besitzer. Die Entscheidung weg zu ziehen, ist gefallen, seltsame Zufälle haben bewirkt, dass ich nach vielen Jahren wieder in meine Geburtsstadt zurück kehren sollte. Das erste weiße Blatt des neuen Kapitels war diese Übersiedlung. Ich hatte mich innerlich umgestellt und die Stadt, wo ich ein halbes Leben lang gearbeitet und mir eine Existenz aufgebaut hatte, hat nun für mich ihr Gesicht gewechselt; ich hatte es geschafft, sie zur ursprünglich fremden Stadt umzuwandeln, um mich von der familiär gewordenen Umwelt wieder abzunabeln.
Heute ist der letzte Tag im alten Leben, morgen kommt der Möbelpacker, um die wenigen Sachen abzuholen, die ich für die letzte Woche noch gebraucht habe. Das Bett, ein Sofa, den Fernseher und die restliche Wäsche und Kleidung. Eigentlich ist das wirklich Lebensnotwendige nicht viel und diese Situation zeigt mir, dass man mit wenig auskommen kann.. Es kommt im Lauf der Jahre Vieles zusammen, von dem man gar nicht mehr weiß, dass man es hat und wozu es gebraucht wurde. Jeder, der einmal umgezogen ist, weiß, dass die Qual der Wahl mit dem Ausmisten einhergeht. In den verschiedenen Schubladen des Jugendzimmers fand ich eine beträchtliche Menge von alten Fahrkarten, Bustickets, alten Schlüsseln, die nirgends mehr hineinpassen, zernagte Bleistifte und Kulis, ein Sammelsurium von Buntstiften aus der Kindergarten - und Grundschulzeit, unbrauchbar gewordene Kabel von irgendwelchen ausgedienten Geräten, ja sogar eine Schlangenhaut, die mein Sohn wer weiß, von wem geschenkt bekommen hatte…
Seit Monaten lebe ich schon in dieser hektischen Aufbruchstimmung und nur am Rande war ein gewisses Unbehagen spürbar. Ein zweifaches Unbehagen, zum einen, weil ich auch meinen erwachsenen Sohn mit in dieses neue Umfeld nehmen musste. Er war mit seinem Universitätsstudium noch nicht fertig und hatte es von B. aus, um eine Stunde Bahnfahrt weiter als vorher, um Venedig zu erreichen. Zum anderen, verbinde ich nicht viel schöne Erinnerungen mit meiner Kindheit in der Heimatstadt. Die bürgerliche Kleinstadt mit ihrer scheinbar unüberbrückbaren Trennung zwischen den Sprachgruppen hatte mich von klein auf eingeengt, ich fand mich in dieser kleinen Welt falsch am Ort, alles war hier wie in zwei Schubladen eingeräumt und keine davon enthielt das wonach ich suchte.
Würde ich jetzt das Gefühl der Zugehörigkeit endlich kennenlernen, oder würde ich mich weiterhin als Fremdkörper in der kleinen Heimat erleben? Die Enge ist wie ein Fangarm, überall strecken sich ihre Tentakel aus und ich habe immer dagegen zu kämpfen gehabt.
Mein Sohn hatte keine Einwände gegen meine Entscheidung, denn für ihn zählte vor allem meine Überzeugung, dass ich dort zusammen mit dem Partner, der mich zum Unzug überredet hatte, einen sorglosen und geruhsamen Lebensabend haben würde und das war für ihn, den es seit langem drängte die graue Provinz ganz zu verlassen, ein Garantieschein für mein Alter.
Aber, irgendwie litt er darunter, seine alte Umgebung endgültig auf zu geben, doch, wie es in unserer Familie oft vorkam, sprach er darüber erst viel später.
Während ich noch die letzten Bürogänge für den Umzug zu erledigen hatte, waren er und mein Partner bereits in B. in der neuen Wohnung mit der Einräumung der angekommenen Möbel und dem Wohnungszubehör vollauf beschäftigt. Dabei kam es auch ziemlich schnell zu Meinungsverschiedenheiten, die die Umstellung auf die neue Wohnung mit sich brachte.
Ich, hingegen hatte noch ein paar Tage Zeit, um mich allein von meiner alten Bleibe zu lösen und mir gleichzeitig über das Provisorium Leben ein paar Gedanken zu machen. Mehr als einen Umzug hatte ich bereits erlebt, aber diesmal war es anders, ich war auf dem Weg zu einem neuen Lebensabschnitt. Und mich beschlich eine leise Angst, Angst vor dem definitiven Wechsel. Und was wäre, wenn ich nach einer so langen Abwesenheit mich in meiner „Heimat“ nicht mehr ganz heimisch fühlen sollte? Was dann? Aber, ich verdrängte diese Zweifel sofort, die Entscheidung war gefallen und es hätte keinen Sinn gehabt ins Grübeln zu kommen.




Draußen hatte der November die Stadt in ein nebliges regnerisches Grau gehüllt und in meiner fast leeren Wohnung sah es ebenso öde aus. Jetzt waren sie nicht mehr zu übersehen, die grauen Ränder von den abgenommenen Bildern an den Wänden, der abgenutzte Parkettboden im Jugendzimmer und ein paar zerkratzte Fliesen in Küche und Bad. Vor den längst fälligen Malerarbeiten bewahrte mich gottlob, der nahe Umzug. Die Fenster waren schon ohne Vorhänge und die Rollos wurden auch bei Tag nicht mehr hochgezogen. Die nachbarliche Wohnkaserne aus den 60er Jahren wollte ich nicht mehr sehen, seit im Innenhof eine alte Fichte gefällt worden war, die das anonyme Grau des Hauses mit ihrem ausladenden Ästen ein bisschen verschönert hatte.
Vor ein paar Monaten hatte man sie gefällt, weil ihre Wurzeln für die unterirdischen Garagen gefährlich werden konnten. Ich sah beim Fällen zu, wie unter einem Zwang stehend und das penetrante Kreischen der Kreissäge ging mir durch Mark und Bein, es war der Tod eines alten Freundes und ich war wohl die Einzige im Umkreis, die ihn betrauerte.
In den letzten Tagen vor der Abreise hatte ich einen seltsamen Traum.
Ich befand mich beim Packen und war von Kisten und Kartons umgeben, als mein Partner ins halbleere Zimmer kam und mit belegter, fern klingender Stimme sagte, er hätte woanders noch eine weitere Wohnung gekauft, weil es seiner Ansicht nach besser sei, in den Krisen des Alltags eine Ausweichmöglichkeit zu haben. Ein absurder Traum, dachte ich gleich beim Aufwachen, wir hatten doch gerade das Gegenteil gemacht und unsere getrennten Wohnungen verkauft, um in einer gemeinsamen Wohnung zusammen zu leben. Er hatte in B. schon seit Jahren eine Zweitwohnung, die er nach unserem Einzug in die neue Wohnung zu vermieten plante; also was hatte dieser Traum überhaupt zu bedeuten?

Und schließlich war es soweit, an einem verregneten Samstag Ende November saß ich im Lieferwagen neben dem Fahrer, einen ehemaligen Postboten und Frührentner der den Transport übernommen hatte. Während der Reise begann der etwa 50jährige von der Schlechtigkeit der heutigen Zeit zu reden. Alles hatte mit dem Verfall der Familie angefangen und alle Werte seien dabei verloren gegangen. Die Jugend sei respektlos und faul und dazu komme die wachsende Gottlosigkeit und die Laschheit der katholischen Kirche, das alles konnte nicht gut enden… Erst später, als mir seine Reden wieder in Erinnerung kamen, dachte ich, dass mir dieser Eifer und seine religiöse Naivität schon einmal begegnet waren. Auf ihre Art unterwürfig und eindringlich zugleich hatte mich meine damalige Friseurin beim Haare schneiden mit religiösen Andeutungen bedacht, immer mit einem sanften Lächeln, das wie aufgemalt wirkte und mich eher peinlich berührte. Ein Zeuge Jehovas also, und wenn mir jemand gesagt hätte, nimm es als ein Zeichen des Schicksals, hätte ich ihn sicherlich ausgelacht.
Der Umzug war gemacht, alles war planmäßig gelaufen, aber bald nach dem Einzug in die neue Wohnung verschwand ganz und gar unplanmäßig die Freude am Zusammensein, das jahrelang alle Wochenende ausgefüllt hatte. Die Alltagsroutine war nicht zu verleugnen, mein Partner begann mürrisch zu reagieren, er wurde immer einsilbiger und ich verstand seinen Stimmungswechsel nicht; war es nicht sein Traum gewesen nach B. zu ziehen? Mich hatte diese Idee anfangs nicht sehr begeistert, aber seinetwegen war ich bereit mich mit meiner Heimatstadt wieder anzufreunden. Während er sich in seine Zweitwohnung verkroch, bekam ich Gesundheitsprobleme und merkte, dass er damit nichts anfangen konnte. Für ihn existierten nur seine eigenen Probleme, für meine fühlte er sich nicht zuständig.
Nach einigen Monate in denen die Kommunikation zwischen uns sich nur mehr auf die Alltagsfloskeln beschränkte, wurden seine Rückzüge in die Zweitwohnung immer häufiger und schließlich kam es zu seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung. Es sollte eine Bedenkzeit geben, in der wir beide uns überlegen wollten, wie das Zusammenleben ausschauen sollte..
Und, wenn ich nachts nicht schlafen konnte, dachte ich an den Umzug und was er für mich bedeutet hatte; die Trennung einerseits, andererseits die Entdeckung von dem was wirklich zählt und unabhängig ist von äußeren Einflüssen.. Ideen die aussortiert werden müssen und solche, die man nicht verwerfen will, obwohl man weiß, dass sie sich mit der Realität nicht vertragen., Konnte es sein, dass ich selbst nicht ganz in die neue Lebensphase passte? War ich wie ein Möbelstück zu sperrig geworden? Warum gab es zwischen mir und meinem Partner plötzlich soviel Trennendes? Vielleicht brauchten wir ein bisschen mehr Zeit, um uns an das Zusammenleben zu gewöhnen, vielleicht gab es einen gemeinsamen Weg den wir nur momentan aus den Augen verloren hatten…
Aber dann kam alles ganz anders.
Die Zeugen Jehovas hatten an seiner Zweitwohnungstür geklingelt. Wie gute Spürhunde, die jeden riechen der in einer Krise steckt, hatten sie den gewissenhaften Katholiken und müden Kirchgänger identifiziert, der bereit war vom Netz der Brüder und Schwestern auf gefangen zu werden. Ein egozentrierter alter Knabe, der seinen Traum vom Glück im Alltag verloren hatte, fand bei ihnen was er brauchte. Die Frau, so steht es geschrieben, soll dem Manne ergeben sein, durch ihre Unterwerfung wird der Mann in seiner Rolle als Oberhaupt gestärkt und die Familie kann nur so in Frieden und in der Wahrheit Gottes leben… Also, musste sich auch seine Partnerin bekehren, denn falls sie das nicht tun wollte, bedeutete es, dass sie ihn in Wahrheit nicht liebte und ihn auf seinen neuen Weg keine gute Begleiterin sein konnte.
Eine gute Taktik, um einen begüterten allein stehenden Rentner vor einer unwürdigen „Weltlichen“ zu beschützen und ihr, die sich nicht bekehren lassen wollte, die ganze Schuld für das Scheitern der Zweisamkeit anzulasten.
Die Seelenfänger „made in America“ bekamen ein neues Mitglied auf Lebenszeit. Der Preis für die Aufnahme in eine Welt falscher Sicherheiten dürfte für ihn nicht zu hoch gewesen zu sein; denn schon als Katholik lehnte er es ängstlich ab die Dogmen der Kirche kritisch zu überdenken.

Seltsame Zufälle wenn ich an die Fahrt mit dem Zeugen Jehovas und an den Traum von den zwei Wohnungen denke…
Hie und da finde ich in meinem Briefkasten die kitschig illustrierten und gewollt naiven Botschaften für „das Leben in einer friedlichen neuen Welt,“ von der Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania. Beim Lesen, die Zeugen Jehovas mögen es mir in ihrer triefenden Gottesfurcht verzeihen, habe ich jedes Mal einen unerklärlichen Anfall von Brechreiz.

Roland Förster
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Re: Ein Umzug mit Folgen

Beitrag von Roland Förster »

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Hallo Christine,
schön dass Du bei uns gelandet bist.
Dies freut mich sehr.

Bin schon gespannt auf viele weitere Einstellungen von Dir.

Ja, es ist schon sonderbar mit dem Träumen und Erfahren.
Auf unseren Wegen, - Reisen (Reise-um-zügen) , hin zu unserer Bewußtwerdung.
;)

Für mich selbst ist es bedeutungslos, welche friedlichen Glaubenswege ein Mensch geht. Das Erleben - Erfahren dieses Menschen selbst, ist für mich von wahrer Bedeutung.

- Treffe hin und wieder durch Kundenkontakte auch auf Zeugen .... oder sonstige Glaubensrichtungen. Alle Glaubensrichtungen im Grunde, einschließlich der Menschen die lediglich glauben "Das der Pressack die größte Wurst ist. " - wie man in Franken so schön sagt.

Noch nie wollte mich auch nur Eine(r), egal welcher Glaubensgattung, wirklich "bekehren". Scheint wohl an meinem eigenen - persönlichen - freien Glauben zu liegen.

Es ist jedoch wie immer eine Frage der Achtsamkeit - dem gegenseitigen Akzeptieren - Tolerieren, die uns gegenseitig vorwärts bringt. Entwicklung aus allen Verwicklungen. :idea:

Ich glaube daher, Augenzwinker-Grins, das mit dem Brechreiz wird sich für die beschriebene Person aus Deinem Text sicher irgendwann erledigen.

Ein Text - der zum Vorwärtskommen - Reisen - anregt.

Auf das wir alle bald Zuhause sind.

:D


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little pearls
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Re: Ein Umzug mit Folgen

Beitrag von little pearls »

Lieber Roland, danke Dir ganz herzlich für dein Kommentar. ja, das ist leider erst der erste Teil einer traurigen und auch sehr bösen Geschichte, die noch nicht zu Ende ist. Vermutlich werde ich wohl noch Stoff für den Teil 2 dieses Umzugs bekommen, aber ich brauche immer ziemlich lange um es literarisch zu verarbeiten.
Ich habe diese Kurzgeschichte heuer in der Anthologie "Begegnungen" von editionleselust ( Mohland Verlag - Plön) zusammen mit einer anderen veröffentlicht. Die zweite beruht auch auf einer wahren Geschichte, ich denke sie ist um einiges fröhlicher als die vom Umzug... Inzwischen einen schönen Donnerstag und liebe Grüße

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