HalloWien

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Rainer A. Anders
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Registriert: Do 3. Nov 2011, 14:23

HalloWien

Beitrag von Rainer A. Anders »

HALLOWIEN_(1979)

(eine Geschichte aus Wien zu einer Zeit, als es hier Halloween noch gar nicht gab!)


In der Nacht des 31.Oktober fuhr ich mit der Tramway Richtung Wiener Innenstadt. Es war bereits dunkel und die Wagons rumpelten durch die alten, leeren Gassen. Die Läden  waren schon geschlossen, in den Wirtshäusern und Cafés saßen noch so manche Nachtschwärmer und ein paar elegant gekleidete Theaterbesucher eilten, keuchend, lachend Richtung  Theater in der Josefstadt und andere wieder huschten, müden Blickes durch die Gassen heimwärts. Langsam wurde es ruhiger in den Vorstadt-Strassen von Wien. Die fast leere Bim, wie wir sie liebevoll nannten, donnerte die Josefstädterstrasse hinunter. An der Boutique meiner Mutter und am Theater vorbei, bis runter zum Parlament. Da stieg ich aus. Ich wollte mir die Beine vertreten und querte die Ringstrasse zum Volksgarten. Da, wo man sonst an einem schönen Tag die Burgschauspieler 
beobachten kann, wie sie ihre Texte rezitierend vor sich hinmurmeln. Ich hatte kein fixes Ziel, doch zog es  mich meist in die alten Gassen der Inneren Stadt, die dieses unglaublich wunderbare Flair einer eleganten, mondänen Epoche widerspiegelte und mich gänzlich einnahm. Ich schlenderte durch den Volksgarten, über den Michaelerplatz zum Kohlmarkt hin, um´s Eck zum Graben. Da tummelten sich noch viele in spazierender Gemütlichkeit,  vergnügte  Pärchen, scharenweise Touristen, Geschäftsleute, Familien, Suchende und Gaffende, Wegschauende und Erleuchtete. Stundenlang könnte ich so gehen, dachte ich und bemerkte in einer Traube von Menschen "Wa Lu Li So", seine Grünpredigten auf begeisterte Zuhörer schmettern. Man konnte ihn fast als ein wandelndes Wiener Wahrzeichen bezeichnen. Er hatte nichts an, außer ein weißes Laken von Hals bis Fuß und eine Lorbeerkrone  am Haupt! Sein Grinsen war so einnehmend, charismatisch, dass ihm die Leute fast jedes Wort glaubten, oder auch nicht. Dann zog er, unter Gelächter in seinen Jesus-Schlapfen, ein paar hundert Meter weiter. Nicht einmal Kälte oder Schnee konnten ihn daran hindern. auch nicht die Polizei, die er zu Tode grinste. Er war immer da! 
Und auch der "Indianer", mit seiner Gitarre, seiner weißen Haarsträhne und seinem hektisch, leicht gebückten Gang, war mir zwar nie geheuer, doch grüßten wir uns im Vorbeigehn.
Zur Kärntner Strasse hin wurde es dann hektischer, der Trubel nahm zu, das Zentrum der Belebtheit schien erreicht. Flanieren war angesagt! "So ist das in Wien! Vielleicht auf einen Café ins Hawelka? Kein Platz?? Oder doch?" 
Das Caféhaus war berstend voll, der Rauch stand bis zum Boden, die Kellner drängten hektisch, vollbeladen durch die Menge. Die einen standen, die anderen saßen plaudernd, die Kleiderständer waren um diese Jahreszeit schon schwer mit Mänteln behangen und ich entdeckte ein paar Kollegen an den hinteren Tischen. Junge Schauspieler, wie ich. Der alte Hawelka wollte mir gerade  einen Platz zuweisen. als meine Kollegen mich bemerkten. Dankend schob ich mich charmant durch die Ansammlung von Bäuchen, Parfums, Rauchschwaden und Stühlen, bis ins hintere Eck. 
"Ein großer Brauner, bittschön und a bisserl a Gebäck! wär´ nett!" orderte ich beim Chef, der schon aufmerksamen Blickes nickte,  während ich mir einen Stuhl organisierte und mich meines Mantels entledigte. Felix Römer, Ulli Beimpold, Othmar Schrott und Fini Merkatz saßen da, den Tisch schwer beladen mit Manuskripten und etlichen Reklam Ausgaben zwischen Teetassen und vollen Aschenbechern mit Teebeuteln drauf. Ulli strahlte mich augenklimpernd an. Der hagere, schlaksige Othmar las gerade lautstark  Brecht, hatte selbst den meisten Spass und wir fanden Brecht auch elitär, verstanden wir ihn ja noch gar nicht richtig. Ich für meinen Teil war froh, mir schon mal die ersten drei Seiten des Faust Monologs halbwegs gemerkt zu haben. Mein Café kam, ich zündete mir eine "Johnny ohne" an und freute mich, dass ich noch so jung war.  Wir trafen uns häufig hier und in den umliegenden Caféhäusern. Oftmals zufällig, wie eben. Hier im Caféhaus wurde bestimmt, wer mit wem, welchen Part spielt und warum und wieso nicht!?
Kann man denn nicht alles und jeden spielen? Stanislawski oder Brecht?? Was jetzt? Richtig oder falsch?? Fragen über Fragen, junger Schauspieler. Doch es war herrlich den ganzen Tag in diesen Wörtern und
Rollen zu leben, auf Castings zu hetzen und den Traum einer Theater-Karriere in sich zu tragen. Ich las grad Kinsky´s Erdbeermund und hatte so meine Vorstellungen von Theatralik und Drama. 
Ich setzte mich noch ein bisschen mit Shakespeare in Szene und dann verflogen auch schon die Stunden und lösten die Runde auf!
Ich schlich durch die Gassen, es war schon recht kalt. Ich wollte  noch zum Würstelstand an der Ecke am Heimweg, da fiel mir der Lackaffe auf, der mich im Hawelka schon dauernd anlächelte,. Er scheint mich zu verfolgen, dachte ich mir! ich ging schneller. Nur ein wenig, er sollte es ja nicht merken. Ich konnte mich nicht umdrehen und spürte ihn im Nacken. Ein unsympatischer Typ, elegant,älter, aber mit einem süffisant, überheblichem Lächeln. Was sollte das? denk ich mir, blieb stehn, beugte mich zu meinen Schnürsenkeln und tat so, als ob ich mir die Schuhe zubinden wollte. Er kam näher.
"Hallo!" sagte er. "Guten Abend!" antwortete ich. "Kalt ist es!" sagte er. Ich sagte " Wie bitte?" "Kalt" sagte er. "Ah ja!" antwortete ich. Ich erhob mich und ging weiter
ohne ihn zu beachten. Er stieg mir nach. Ich bestellte eine Käsekrainer. Ich versuchte ihn nicht zu beachten.  Doch nun standen wir, der Lackaffe und ich, alleine beim Würstelstand, na toll! Er grinste mich blöd an! Das machte mich ziemlich verlegen, denn er sah mich an, als ob ich die Nachspeise wäre. Er fragte mich, ob ich aus Wien bin? "Ja!" sagte ich und nickte zustimmend.
"Heute ist HalloWien!" beteuerte er. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Dann fraß ich die Wurst in mich hinein, während er mir erzählte, er sei Musiker und aus Belgien und ich weiß nicht, was er mir noch alles erzählte. Er möchte unbedingt mich auf einen Drink in eine Bar hier in der Nähe einladen! Ich lehnte ab. Ich hatte auch kein Geld mehr und es war schon spät. Wieder zu schwach, ließ ich mich überreden und landete mit ihm in einer kleinen Bar hinter dem Hotel Sacher. Es war gegen 22:30 und es war eine richtige Schmusebar. Na toll, dachte ich mir! Er wollte mit mir direkt in eine Loge! Ich konnte in letzter Not den Sitzplatz an einen Lämpchentisch verlegen. Meine Alarmglocken läuteten, das heisst sie bimmelten,
und ich war schwer am überlegen, ob es wohl besser ist , ich stehe nun gleich wieder auf und laufe, nein, ich gehe nach Hause, das kann ja nicht so schwer sein, oder ...ist es am Ende doch interessant? Ich wusste nicht was ich tun sollte.
"Zwei doppelte Scotch" sagte Lúc und nach kurzer Zeit machte mir das Gespräch sogar Spass, er war witzig, aber er wollte was von mir. Ich konnte nicht glauben, obwohl alles danach aussah, was ich dachte.Ich erzählte ihm, dass ich am Burgtheater spiele, als Komparse und viel mit Homos zu tun hätte. Das amüsierte ihn sehr und er bestellte noch zwei Doppelte. Irgenwie konnte er mich, gegen alle meine Vorahnungen und Prinzipien überreden mit ihm in seine Wohnung zu latschen.
Es war ein riesiges altes Zinshaus im Jugendstil. Wir gingen zuerst zu Fuß in den Mezzannin und dann öffnete er quietschend die Fahrstuhtüre. "Bittesehr!" sagte er "Entré!" und grinste  wieder unsympatisch. Wir fuhren bis nach oben. Eine noble Riesenwohnung breitete sich aus und er meinte ich solle Platz nehmen. Dann verschwand er, um kurz darauf im Morgenmantel, Abendmantel wohl duftend, wie ein Pfau auf Balz daher tänzelte und wahrscheinlich hoffte, dass mich die Musik inzwischen zugesäuselt hätte. Mozart klimperte und variierte entspannt sein Spinett, als Lúc neben mir aus einem Staniolpapier etwas braunes zum Vorschein brachte, es anzündete und in ein riesiges Papier drehte. Gespannt schaute ich zu, hatte ich doch so etwas nur einmal erst gesehen. Ich war gewarnt! Skeptisch beobachtete ich den Vorgang, während Wolfgang Amadeus spielte.
Mein Blick streifte durch das Fenster über die Dächer der Altstadt im Mondlicht und es war eine gewisse Melancholik, der ich immer wieder zu verfallen drohte. Lúc rauchte, grinste und hielt mir das Teil entgegen."Probier mal! Ist entspannend!" Ich wollte kein Spielverderber sein und zog wie ein Profi an. ich saugte was das Zeug hergab, es glühte, es rauchte, ich hustete, Lu´c lachte  und......
"Ist das stark! dachte ich mir und kippte zurück in´s blaue Sofa. 
Nach ein paar Minuten war alles scheinbar wieder in Ordnung.
Ich habe alles im Griff, dachte ich mir selbstgefällig und in dem Moment, spürte ich seine Hand an meiner, nein es war sein riesiges fettes Glied, sein Penis! Er streckte ihn mir einfach rüber und ich hatte ihn kurzzeitig sogar berührt!! ich sprang, wie von einem Polizeiknüppel bedroht auf, entschuldigte mich höflich und versuchte die Türe zu erreichen. Da merkte ich, dass ich keine Beine mehr hatte. Wo sind meine Beine??? Ich krachte mit voller Wucht in sein Bücherboard. 
Lúc stand auf, kam fluchend auf mich zu, "Schätzchen, du wirst doch nicht weglaufen?" Er versuchte mir aufzuhelfen und versuchte mir dabei gleich seine Zunge reinzustecken. Das war genug! Ich drehte mich zur Seite, suchte meine Beine und rannte, torkelte, denn irgendetwas war momentan überhaupt nicht mehr so, wie gewohnt! Diese Wohnung sah aus, wie in einem Hollywood Film, deren Üppigkeit, Schwülstigkeit ´mir zuerst gar nicht auffiel, aber jetzt. Ich schlang mich hastig an den Wänden entlang, räumte sicher hier und da Gegenstände ab, doch ich konnte nichts dagegen tun. Ich fiel, lief, Lu´c schrie mir ins Stiegenhaus nach, ich rannte was ich konnte die Stockwerke hinunter, doch dann, als ich glaubte dem geilen Musikator entkommen zu sein, und schon einen Innenhof weiter in die falsche Richtung lief, sprangen mich, wie aus dem NIchts zwei verhüllte, schreiende Kürbismonster an und schrien irgendwas mit "HALLOWIIIIEN!!" Sie kreischten, packten mich, lachten, redeten englisch und zogen mich, stubsten mich durch den Hof. Sie hatten riesige Fackeln und fuchtelten immer wieder, bedrohlich mit dem Feuer. Ich konnte nichts dagegen tun, wußte ich doch momentan auch gar nicht mehr, wo ich bin. Der Eine stiess eine Kellertüre auf und schrie "LSD!!!!" "HALLLLOWIIIEN!" grölte der Andere.
Ein Kellergewölbe nur mit Kerzen beleuchtet. Kürbisfratzen starrten mich an. "LSD" schrie der eine  wieder und sprang mit der Fackel laut lachend über einen Haufen Scherben, andere warfen sich die Fackeln zu. Schwere Musik dröhnte ungebremst gegen meine Gehörgänge, Zig waren am tanzen, andere liebten sich scheinbar gleich auf der Stelle. Es waren an die Hundert Gestalten hier, monströse, schwarzgeschminkte, verhüllte Kapuzenträger. Ich hatte wenig Verständnis, ich hatte gerade die Hose voll. Ich stand steif vor Schreck neben dem Einen, der mir gut zuredete, mich hielt  und stütze, dass ich nicht umfiel und immer wieder sagte er "LSD!" 
ich wußte nicht was er meint. Es war angeblich eine ausgelassene "HalloWien" Party und angeblich nur Amerikaner von der Botschaft. "LSD!" sagte ich und musste Kotzen.

RAAN 

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