Auszug aus "Lumobscura - Wer"

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Schwägerl
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Auszug aus "Lumobscura - Wer"

Beitrag von Schwägerl »

Sjure und Abebi treffen bei ihrer Suche nach einem Drachenei auf eine uralte Schildkröte

Abebi schüttelte den Kopf, der seidige Vorhang ihres Haares flatterte um ihr Gesicht, ehe er sich wieder auf ihre Schultern legte. „Wir werden niemals einen Drachen finden, höchstens eine uralte, taube Großmutter, die zu alt ist, um Eier zu legen.“
Sjure hielt sich die Hand vor den Mund, ohne Erfolg. Sein Lachen hallte von Baum zu Baum, wurde zurückgeworfen und schwoll an, bis es den Wald zu erfüllen schien. Weder Moos noch Blätter konnten es eindämmen. Immer noch schwankte sein glänzender Körper unter dem Gelächter, bis er kraftlos auf einen runden, moosbewachsenen Stein sank. Unter ihm zitterte nun selbst der Granit, der seit Jahrhunderten hier zu ruhen schien.
Abebi schloss die Augen, öffnete sie wieder: Der Findling schwankte stärker als ihr Bruder, der ihr plötzlich still und wie erstarrt gegenüber saß. Nachdem der Lärm eben noch die Luft erschüttert hatte, stand sie nun regungslos im Wald. Und dann fiel Sjure vom Stein. Nein, er fiel nicht, er wurde gestoßen und landete rücklings auf die Ellbogen gestützt zwischen den stachligen Halmen eines Dorngrasbusches, die Augen auf den rebellischen Granit gerichtet.
Eine Wölbung löste sich vom Gestein, zwei helle, durchscheinende Flecken blühten auf und ein zerknitterter, schwarzer Hals wand sich in Sjures Richtung. In der Stimme lag die Mühsal des letzten Jahrhunderts und die Worte kamen nur stockend über den Riss im Fels: „Was willst du, Mensch?“
Abebis Arme kribbelten unter den sich aufrichtenden winzigen Härchen. Ihre Stimmbänder vibrierten und sie hätte nicht einen Laut von sich geben können. Sjures Augen weiteten sich, das konnte sie selbst im Halbdämmer des Dschungels erkennen, doch nur für einen Wimpernschlag. Dann ertönte seine dunkle, sonore Stimme, die nicht zu einem Jungen seines Alters zu passen schien, so muskulös und groß er auch war. „Nichts, Panzertier. Verzeih´, wenn ich deine Ruhe gestört habe.“
Unendlich langsam senkte sich ein Schleier über die Augen und hob sich wieder. „Nichts?“ Die Frage knarrte aus dem schwarzen Maul und waberte sekundenlang in der Luft.
Wie von unsichtbaren Fäden gezogen bewegte sich Abebis Kopf nach links und rechts, während ihr Bruder inne hielt, sich zum Sitzen aufrichtete und den Blick seiner dunklen Augen in die winzigen Pupillen der verwitterten Schildkröte bohrte. „Wenn du aber nun schon erwacht bis, Hüterin der Zeit, kannst du mir auch eine Frage beantworten.“
Der faltige Hals streckte sich dem Jungen noch ein Stück entgegen. „Frage“
Das Geräusch des Wortes kratzte an Abebis Nerven. Die ineinander verwobenen Blicke von magischer Schildkröte und Schamanen spannten sich wie trübe Schattenseile zwischen den Köpfen. Ja Schamane, denn die Gestalt, die mit verschränkten Beinen vor dem knorrigen Panzertier hockte, ähnelte Abebis Bruder nur noch entfernt. Sie wich einen Schritt vor der Aura zurück, die von den beiden ausging. Sie war nicht die Einzige: Blätter und Blüten rings um sie herum knisterten vor Anstrengung, sich dem magischen Dunst zu entziehen, und bildeten einen vollkommenen Kreis in ihrem Bestreben dem Ursprung der Magie zu entrinnen. Nur der Farn wiegte sich immer noch wie im Wind, obgleich kein Lufthauch zu spüren war.
„Ich suche die Königin der Drachen. Wo hat sie ihren Aufenthalt?“ Ein Hauch neugieriger Sjure blitzte in den Zügen des Zauberers auf, der mit den Schatten des Dschungels zu einem dunklen Flickenteppich verschmolz. Da erfüllte ein kollerndes Scheppern die Luft und Abebis Herz presste gegen ihre Rippen, als wolle es eben alleine flüchten, wenn sein Besitzer nicht genügend Verstand besaß. Ihre Augen hingen gefesselt an dem Auf und Ab des viel zu kleinen Schildkrötenkopfes und es dauerte Sekunden, bis sie begriff, dass ein Lachen die Luft erschütterte und mit einem langen Rasseln verklang.
Als Abebi schon dachte, das wäre es nun wohl gewesen und die Schildkröte würde ihren Kopf zurückziehen und wieder einschlafen, rumpelte die nächste Frage durch die Bäume: „Die Königin der Drachen? Darunter machst du es wohl nicht?“
Sjure verzog sein Gesicht zu einem Lächeln, das Abebi nicht kannte. Alt klang seine Stimme. „Nein, darunter mache ich es nicht“
„Nun gut“ Ein polterndes Husten unterbrach die Worte. Die Stimme wurde immer heiserer, sofern man die scharrenden Geräusche so bezeichnen konnte. „Die Königin der Drachen also. Geh dahin, wo es am dunkelsten ist.“ Erneut legte sich ein Schleier über die blind erscheinenden Pupillen und der faltige Hals zog sich in den moosigen Hügel zurück. Minuten verrannen, ehe nur noch eine wulstige Erhebung am vorgeblichen Granitblock daran erinnerte, dass der Stein kein Stein war.
Mit einem Rascheln sprangen die umliegenden Pflanzen in ihre übliche Stellung zurück und Abebi zweifelte einen Moment, ob sie das alles wirklich erlebt hatte. Zwischen Blättern, Pilzen und Schnecken saß Sjure mit einem ratlosen Ausdruck im Gesicht. Abebi schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen.
„Was war das?“, fragte sie und fürchtete ihr Bruder könnte nicht wissen wovon sie sprach. Doch statt einer Antwort stellte er eine Gegenfrage: „Wo es am dunkelsten ist?“ Ratlosigkeit lag in seiner Stimme.
Plötzlich wurde Abebi wütend. „Wieso hast du die Prüfung nicht bestanden? Wieso kannst du nicht einmal einen alten Mann besiegen, setzt dich einen Tag später einem sprechenden Felsblock gegenüber und verwandelst dich in einen Angst einflößenden Schamanen?“ Ihre Zehen krallten sich in den weichen Waldboden. „Wieso?“
Seine dunklen Augen brannten Löcher in ihr Gesicht. „Ich weiß es nicht“

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