Ein einsamer Mann; Mia Reschke

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Mia Reschke
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Ein einsamer Mann; Mia Reschke

Beitrag von Mia Reschke »

Ein einsamer Mann

[…] Als sie den Raum betrat, erschlug sie der schwere Geruch von Zigarren und Whisky förmlich. Sie brauchte einige Zeit, um ihn in diesem abgedunkelten Raum auszumachen. Er saß am offenen Kamin, ganz am Ende des Zimmers. In der rechten Hand ein Glas Whisky in der anderen seine Zigarre. Sie sah nichts, was sie nicht kannte. Hätte man sie nach ihm gefragt, immer hätte sie dieses Bild von ihm im Kopf gehabt. Bei diesem Gedanken musste sie schmunzeln, denn sie würde dieses Bild vermissen. Doch für sie gehörte es zum Erwachsen werden dazu. Sie musste neue Wege erkunden und allem Alten dafür den Rücken kehren. So war sie, so war sie schon immer. Und auch dieses Mal würde es so sein. Es war unausweichlich.

„Komm doch zu mir“, flüsterte er ohne von seinem Whisky aufzublicken. Ohne zu zögern durchquerte sie langsamen Schrittes den Raum und blieb unvermittelt vor ihm stehen. Mit dem Glas Whisky in der Hand deutete er auf den kleinen Hocker zu seinen Füßen. Erst als sie sich gesetzt hatte, hob er erst den Blick und dann erneut das Glas an seine Lippen. Nachdem er zwei weitere, großzügige Schlücke genommen und sein Glas somit gelehrt hatte, sprach er wieder.

„Du willst gehen“, sagte er. Das war keine Frage, das wusste sie. Er musste ihre geistige Abwesenheit in den letzten Wochen zwangsläufig bemerkt haben und aus ihren früheren Erzählungen wusste er, das es zwangsläufig irgendwann so kam. Das es nie Ausnahmen gab. Und wenn, dann erst recht nicht für ihn. Er war alt geworden und es schon zu Beginn ihrer Liaison
gewesen. Noch heute fragte er sich manchmal, wie er und sie überhaupt zueinander finden konnten. Wie eine Frau wie sie Interesse an ihm finden konnte. Sicher, er konnte ihr alles bieten was ihr Herz begehrte, doch er hatte schnell gemerkt, dass ihr all diese Dinge nichts bedeuteten. Das sie anders war als all die Frauen vor ihr. Für sie war der Sonnenschein oder die Schönheit einer frisch erblühten Rose mehr wert, als teurer Schmuck. Er aber war es gewohnt Streitigkeiten mit kostbaren Geschenken aus dem Weg zu räumen, weil eben diese Geste immer funktionierte. Weil er es schon immer so gemacht hatte und auch sein Vater und sein Großvater so waren. Er wusste nicht anders damit umzugehen. Und zum ersten Mal in seinem Leben, genau in diesem Augenblick merkte er, was er dadurch verlor. Und es schmerzte ihn zum ersten Mal, dass er nichts dagegen tun konnte. Sein Geld konnte ihm dabei nicht helfen und der jahrelange Trott in dem er sich befand machte die Sache auch nicht einfacher. Er konnte ihr nicht in die Augen schauen, ohne dass sie auf den ersten Blick den Schmerz in ihnen ausmachen würde. Also ließ er es und schaute weiterhin auf sein leeres Whiskyglas, welches er in einem langsamen Rhythmus schwenkte, obwohl es leer war.

„Soll ich dir noch etwas nachschenken?“, fragte sie vorsichtig und sah ihn an. „Hmm...“, gab er zurück und starrte weiterhin auf sein Glas. Langsam erhob sie sich, ging zur Bar neben dem Kamin und ergriff die offene Whiskyflasche. Wieder beim Sessel angekommen, schenkte sie ihm vorsichtig nach und setzte sich wieder zu ihm. „Hör zu, ich...“, fing sie an, doch er unterbrach sie. „Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, ich verstehe dich. Es gibt für dich hier keine Zukunft, erst recht nicht mit mir. Und das wusste ich vorher, wir hatten bereits zu Beginn darüber gesprochen, falls du dich erinnerst. Deshalb ist es für mich ok.“

Langsam beugte sie sich zu ihm vor, hob die Hand an sein Kinn und hob es um ihm in die Augen schauen zu können. Nur ungern ließ er sich darauf ein, denn es zeugte für ihn von Schwäche. Er wusste, dass er sie mit seinen Worten belügen konnte, doch in seinen Augen würde sie immer die Wahrheit sehen. Doch er wollte ihr zeigen, dass er in seinem Inneren nicht genauso hart war, wie er sich nach außen hin oft zeigte. Wie andere es oft von ihm dachten. Eine Fassade, welche er sich schon von Kindheit an aufgebaut hatte, um sich selbst zu schützen. Erst durch Hannah hatte er gelernt, nach und nach Gefühle zu zu lassen und zu zeigen. Doch für mehr als das hatte es nicht gereicht. Und wieso nicht weiterhin an alten Dingen festhalten, wenn das Spiel ausgespielt war? Er war Schachmatt gegangen. Also sah er ihr direkt in die Augen.

„Es ist für dich nicht ok“, sagte sie. „Du hattest Hoffnung, dass ich bleibe“. „Und wenn schon“, entgegnete er. „Was spielt dass noch für eine Rolle? Ich könnte fast dein Großvater sein“. Er wirkte traurig. „Stimmt...“, gab sie frech zurück, stand auf und setze sich auf seinen Schoß. Überrascht von ihrer Geste machte er Anstalten, seine Zigarre und das Glas auf dem Tisch neben dem Sessel abzulegen. Mit einem Grinsen nahm sie ihm Beides aus der Hand und legte es ab. Als sie sich ihm wieder zuwandte, sah er sie erwartungsvoll an. „Und was soll das jetzt werden?“, fragte er neugierig. „Nun...“, sagte sie, als sie mit ihrer Nase seinen Hals entlang fuhr und mit der anderen an den Knöpfen seines Hemdes nestelte. „...betrachte es einfach als eine Art Abschiedsgeschenk“. „Du weißt, dass ich keine Geschenke mag?“, fragte er ein wenig belustigt und zog sie fester an seine Brust. Sofort unterbrach sie ihre Erkundung und sah ihn an. „Ja das weiß ich, aber ich weiß auch, dass dir dieses Geschenk gefallen wird. Ob es nun ein Abschiedsgeschenk ist oder nicht“.

Während sie diese Worte sprach, kam sie ihm immer näher, bis sie schließlich ihre Lippen heftig auf die seine drückte. „Erzähl mir Lügen“, flüsterte sie, als sie sich wenige Sekunden später voneinander lösten. Langsam hob er seine Hand, umfasste ihr Kinn und zog sie erneut zu sich. „Ich liebe dich nicht“, keuchte er, bevor sie ihre Lippen erneut heftig auf die seinen drückte und die Würfel für dieses letzte Spiel gefallen waren. [..]

[Mia Reschke]

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