Sein eigener Gefangener; Mia Reschke

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Mia Reschke
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Sein eigener Gefangener; Mia Reschke

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Sein eigener Gefangener

Auf dem Fell vor dem offenen Kamin, da liegt sie. Wärmt sich. Wärmt sich und ihre Seele. Ohrenbetäubende Klavierklänge schweben durch den Raum, doch sie liegt ganz still. Still liegt sie dort. Bewegt sich nicht. Lauscht. Lauscht der Musik und den zwei schlagenden Herzen in ihrem Inneren. Tränen rinnen ihre Schläfen hinab. Die Augen dennoch geschlossen. Sie hatte es sich anders gewünscht. Gewiss. Doch was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Was brachte es, sich zu wünschen, dass er anders sein könnte? Nichts, das wusste sie. Denn sie hatte es unzählige Male getan. Unzählige Male hatte sie gehofft und gebangt. Ja, sogar gebettelt. Gebettelt, dass er sie liebte. Das er sie doch lieben könne. Sie, so wie sie war. Sie so nehmen würde, wie sie sei. Doch er konnte es nicht. Er konnte es nicht. Wie sollte es dann jetzt anders sein? Wie könnte es? Ihre Lippen formten sich zu einem schmalen Strich. Fast schon hätte sie hysterisch losgelacht, bei dem Gedanken, dass er sich mit ihr gemeinsam eine Familie vorstellen könne, wenn er von dem Kind, welches unter ihrem Herz wuchs erfuhr. Zuzutrauen wäre es ihm ja, dachte sie. Die heile Welt vorspielen – das passte zu ihm. Es war sogar eine seiner Stärken. Doch wie lange er diese aufrecht erhalten konnte, das wusste sie auch. Schon oft konnte sie einen Blick auf sein inneres erhaschen. Nur einen kurzen zwar, aber sie hatte es geschafft. Sein inneres, welches er so gut abschirmte, wie eine Walnuss das ihre. Abgeschirmt durch einen Panzer. Geschützt vor fremden Blicken.
Sein eigener Gefangener.

[Mia Reschke] 05.06.13

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