Wenn er nur wüsste; Mia Reschke

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Mia Reschke
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Wenn er nur wüsste; Mia Reschke

Beitrag von Mia Reschke »

Wenn er nur wüsste

Sein kupferfarbener Haarschopf lodert im Schein der untergehenden Sonne, während ich mir den Weg zu ihm bahnte. Als ich mich zu ihm in den Sand setzte, blickte er weiterhin dem Horizont entgegen. Und ich tat es ihm nach. Es war ein wundervoller Abend. Einer von diesen, an denen scheinbar alles möglich war und an denen man hoffte, die Sonne möge nie untergehen. Aus Angst, der Zauber könne dadurch verloren gehen. Ich schloss die Augen und atmete die frische, saubere Luft in meine Lungen. Doch da war noch etwas. Da war er. Sein Geruch. Mein Unterleib zog sich zusammen, als ich spürte, wie er meine rechte Hand in die seine nahm. Augenblicklich schlug ich die Augen auf und sah zu ihm rüber. Doch außer dass er meine Hand nun in seinen hielt, hatte sich nichts an ihm geändert. Noch immer starrte er gen Himmel. Nach einer gefühlten Ewigkeit begann er zu sprechen. „Ich bin gern hier, weißt du“, sagte er und sah nun endlich zu mir. Ein Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus und makellose Zähne kamen zum Vorschein. Er wirkte glücklich. Glücklich und gelöst. Und weil ich nicht so recht wusste, was ich auf seine Worte antworten sollte, blickte er wieder dem Himmel entgegen. Als er schließlich begann mit einem seiner Daumen meinen Handrücken zu streicheln, verstärkte sich das Gefühl in meinem Inneren. Wie bei jeder seiner Berührungen.

Nein, eigentlich brauchte es keine Berührung, seine Gegenwart genügte gewöhnlich.
Genügte, um mich völlig aus dem Konzept zu bringen. Genügte, um meine Welt auf das minimalste zu reduzieren. Ihn und mich. Als er mich erneut ansah, öffnete ich den Mund um etwas zu sagen, doch ich konnte nicht. So vieles was ich ihm schon immer sagen wollte, doch ich konnte es nicht. Wieder grinste er mich an. Seine Augen glitzerten. „Wolltest du gerade etwas sagen?“ Ob ich gerade etwas sagen wollte? Du meinst abgesehen davon, dass ich total verrückt nach dir bin und du zu blind bist um es zu sehen? Beschämt blickte ich auf meine Hand, welche immer noch in den seinen lag. „Nein, eigentlich nicht“, gab ich zurück.

Ohne ein weiteres Wort, ließ er sich rückwärts in den Sand fallen und zog mich dabei mit. Wortlos starrten wir in den Himmel, wie wir es schon die ganze Zeit über getan hatten. Und Romantik in allen ehren, aber langsam könnte mal etwas passieren. „Möchtest du wissen, warum ich so gern hier bin?“, fragte er und sah zu mir herüber. „Gern“, antwortete ich und war froh, dass die Stille wieder einmal durchbrochen war. Und dieses Mal nahm ich mir vor, nicht wieder so viel Zeit verstreichen zu lassen, bis er sich abwandte.

„Es erinnert mich an meine Kindheit“, begann er. „Ich habe nicht viele Erinnerungen an meinen Vater, bevor er uns verließ. Aber an die zwei Sommer die wir hier verbracht haben, an die erinnere ich mich, als währen sie gestern gewesen“. Glücklich sah er mich an und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl durch seine Augen, direkt in seine Seele blicken zu können. „Du vermisst ihn“, gab ich zurück, was eher eine Feststellung als eine Frage war. „Ja, sehr sogar“, antwortete er, worauf wiederum eine kurze Pause folgte. „Ich frage mich oft, aus welchem Grund er all das hinter sich gelassen hat. Und ob er sich dessen bewusst war, welche Wunden er dadurch aufgerissen hat“. Seine Stimme wurde wehmütig und instinktiv verstärkte ich meinen Griff in seiner Hand. Hielt nun auch ihn fest, um ihm das Gefühl zu geben, dass ich für ihn da sei. Wortlos. „Manchmal tun wir Menschen unüberlegte Dinge, ohne über die Folgen nachzudenken“, versuchte ich ihn zu trösten. „Und manchmal merken wir erst was uns jemand wert ist, wenn er nicht mehr bei uns ist“,ergänzte er. Ich nickte, denn dieses Gefühl war mir bestens bekannt. Fühlte ich es doch jedes Mal, in jedem Moment in welchem er nicht bei mir war.

Wenn er es doch nur wüsste.
Wenn ich es ihm doch nur sagen könnte.
Wenn er nur wüsste, was er mir war!

[Mia Reschke] 06.06.13

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