Lieblingsplatten, Florian Albrecht

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1. Sinnbringerbuch
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Registriert: Do 6. Jun 2013, 17:36

Lieblingsplatten, Florian Albrecht

Beitrag von 1. Sinnbringerbuch »

Lieblingsplatten, Liebeslieder und geliebte Menschen

Da erklingt es. Jeden Tag mindestens einmal. Einmal wird, immer wieder, das schwarze Vinyl auf Reisen, rund um seine Achse, geschickt. Die Nadel fährt immer wieder entlang, entlang die Riefen. Das erste Knistern, lässt dich entzückt lächeln.

Knacken und Knistern kündigen an, deinen geliebt bekannten musikalischen Reigen. Die Spannung, bis es beginnt, ist unerträglich, obwohl du schon zehntausend Mal, diese Erwartung durchlitten hast, freust du dich, wie beim ersten Mal, als endlich der erste Ton endlich erklingt.

Dieser Ton und seine Nachfolger nehmen dich mit. Reißen dich tief hinein in ihr Klanguniversum. Verzaubern dich und deinen Raum. Tanzen auf deinen Synapsen. Du schwebst durch dem Raum, immer zum Takt der Musik. Musikalisch leichter Seiltänzertraum. Hinein in den Strudel, hinein in dass, was nur dir gehört. Dir und deiner Lieblingsplatte.

Orte besuchst du. Orte aus deiner Erinnerung. Orte, die du mit der raumerfüllenden Musik verbindest. Erinnerungen, Gedanken, Gefühle, Menschen, Leben. Alles was die Platte und dich verbindet, wie dein bester Freund. Du tanzt, genießt Musik, lebst, fühlst, erinnerst und vergisst die Zeit.

Knacken, Knistern und dann Stille kündigen an: Akt Eins ist zu Ende. Du kehrst zurück, kurz. Bist wieder hier. Eilst zu ihr hin. Nein sie darf nicht lang verstummen, sonst zerbricht, die immer wieder neuaufgebaute Verbindung. Sorgsam nimmst du sie hoch. Deine Finger erfühlen den schwarzen Kreis. Sie kennen ihre Geheimnisse, und warten auf die, die noch erforscht werden.
Leises Sonnenlicht bricht durch die Scheiben und krönt deine Platte mit Glanz. Die Zeit steht kurz still.

Eine geübte Drehung, ein tausendmal ausgeführter Handgriff und schon dreht sie sich mechanisch wieder. Vertrautes Knacken und Knistern, bekannt neue Töne und schon bist du wieder mittendrinn. Im Universum, im Sog der Platte. Der Druck aus den Boxen umschwirrt dich wie leichter Nebel. Liebkost dich wie ein warmer Frühlingswind.

Kurz ist es still. Und auch du atmest ruhig. Du weißt was jetzt kommt. Du kennst sie auswendig, könntest den Text ohne zu zögern auswendig aufsagen. Du würdest Ihm solange du lebst folgen, überall hin.
Noch ein kurzes Luftholen. Und dann wirfst du dich hinein, in deinen Song. Ein Song der dich beschreibt. Den du hundert Mal öfter, als die gesamte Platte gehört hast.

Dein Herzschlag schlägt im Gleichtakt. Deine Erinnerungen schweben auf Bahnen gleißender Lieblingsmusik. Je weiter der Song fortschreitet, desto fröhlich traurig wirst du. Sind doch so viele vergangene Gedankengebilde und Erlebnisse daran gebunden.

Das Auf und ab im leben. Die Schönheit der Liebe. Wie ergreifend es für dich war, einem geliebten Menschen, diesen Song vorzuspielen. Und wie verrückt du durch den Raum gesprungen bist, als ihr der Song gefiel. Er hat das Brechen deines Herzen übertönt und ertragbar gemacht.
Gemeinsam habt ihr es wieder gekittet.

Du liebst ihn, den Song, und die Platte, auf der er verewigt wurde.
Du fühlst alles was das Lied sagt und du spürst, dass er dir auch zuhört.

Es geht dem Ende zu. Die letzten Takte vom all time favourite ziehen sich zurück aus deinem Körper, deinem Kopf, deinen Ohren. Lassen wunderbare Gefühle zurück.
Du liegst auf dem Boden, bist durch- und nassgeschwitzt. Lächelst. Das letzte, das „Rausschmeisserlied“, wie du es nennst, beginnt. Du hörst einfach nur zu. Alles ist entspannt. Keine Reise, keine Gedanken, keine Erinnerung. Einfach das Aufsaugen wunderbarer Musik. Noch einmal ein paar Minuten des Glücks genießen, das dir niemand nehmen kann.

Stille erfüllt den Musikorkan verwüsteten Raum. Die letzten Sekunden sind dein. Langsam stehst du auf, gehst noch einmal zum schwarzen Kreis. Schaust zu, wie er sich noch in den letzten Zügen dreht. Den Blick fällt auf das Cover, das ein wenig abgegriffen aussieht. Du liebst es auch. Nur du kennst die Bedeutung des Bildes.

Und langsam, so wie die Sonne untergeht, gehst du tiefer hinein in deine Lieblingsplatte.

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