Traumirrgarten, Christine Matha

Antworten
1. Sinnbringerbuch
Beiträge: 87
Registriert: Do 6. Jun 2013, 17:36

Traumirrgarten, Christine Matha

Beitrag von 1. Sinnbringerbuch »

Traumirrgarten

Die Stadt ist mir total fremd und ich habe mich irgendwann, ohne es zu merken darin verirrt. Ich fühle mich sehr allein, mein Partner kann mir nicht helfen, er schaut mich nur verwirrt an. Er behauptet es sei meine Schuld, dass wir vom Weg abgekommen seien. Ich sei es gewesen, die darauf bestanden hatte eine bestimmte Richtung einzuschlagen. Und er sei um des lieben Friedens willen mit mir gegangen, obwohl er vom Anfang gezweifelt hätte.
Ich ärgere mich, finde, dass es ungerecht ist mir allein die Schuld zu geben und versuche krampfhaft mich zu erinnern wo wir unser Auto geparkt haben.
Es muss eine Strasse in der Nähe des Stadtzentrum gewesen sein, da waren gewisse Schilder die auf den Parkplatz hingewiesen hatten. Mein Orientierungssinn ist immer schon miserabel schlecht gewesen, aber das hätte mein Freund ja wissen müssen.
Wir sind dann irgendwie ins Stadtzentrum gekommen und es war anfänglich eine angenehme Entdeckungstour. In der Altstadt gibt es lauter verwinkelte, enge Gassen, die sich alle irgendwie glichen, bunte Marktbuden und schreiende Händler wechseln sich ab, aber die Händler sprechen einen mir unbekannten, italienischen Dialekt, den ich nur brockenweise verstehen kann.
Zwischen diesen lauten Gassen breiten sich dann unerwartet einsame, fast menschenleere Plätze aus. Wie auf einen Bild stehen dort hohe, rußig versinterte Paläste und dazwischen öffnen sich mehrere imposante Säulengänge, die mich in ihrer Architektur an die Hochblüte der Renaissance oder den frühen Barock erinnern. Ich habe immer ein paar Schwierigkeiten die Übergänge zwischen den Baustilen zu erkennen.. Irgendwann merke ich dann, dass ich mich verlaufen habe und dass mein Partner nicht mehr bei mir ist. Vielleicht habe ich mich zu lange vor den Marktbuden aufgehalten, im Menschengewimmel hätten wir eigentlich Hand in Hand gehen sollen. Einen Augenblick lang überkam mich ein Gefühl der Panik, ich dachte aber gleich, er würde schon auf mich warten, es handelte sich für mich ja nur darum den Parkplatz zu finden. Die Stadt an sich war ja nicht sehr groß und die Leute hier machten alle einen freundlichen Eindruck, das südländische Flair lag in der Luft und so störte mich auch das plötzliche Alleinsein nicht.
Die großen Säulengänge wecken meine Neugier, ich gehe hindurch und bestaune die mit klassischen Fresken verzierten Wände. Von allen Seiten umgeben mich mythologische Darstellungen, unbekannte, heidnische Götter sind mit Zentauren und Einhörnern ein magisches Bilderbuch das mir entgegen leuchtet. Der sagenhafte Vogel Phönix von violetten Flammen umzüngelt, erinnert mich an ein Motto, das ich irgendwo auf einer Darstellung des Fabeltieres gelesen hatte, es war eine verschlüsselte Aussage über das Leben, über die ich lange gerätselt hatte, um sie schließlich auf meine Weise zu interpretieren. Vivere ut vivere possit, waren die Worte, die sich um den Phönik rankten, und ich glaube, es könnte bedeuten; lebe, damit du leben lernst. Lernen wie zu leben ist eine lebenslange Aufgabe und wie Leonardo sagte, während man glaubt gelernt zu haben wie zu leben, muss man erst lernen wie zu sterben.
Ich gehe weiter und weiter und komme zu einer großen Grünanlage, es ist vielleicht ein Botanischer Garten, aber bald entpuppt er sich als Labyrinth und im Nu habe ich mich wieder darin verloren. Fremde exotische Pflanzen und Blumen aller Farben und Formen umgeben mich und ich lasse mich von den gewundenen Wegen leiten, bis ich merke, dass ich die längste Zeit nur im Kreise herumging. Kleine Springbrunnen wechseln sich ab, aus den marmornen Fabeltiermäulern sprudelt es unaufhörlich und weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Aber ich sorge mich nicht, die Umgebung strahlt eine tiefe Heiterkeit aus, der ich mich ganz spontan hingebe.
Später, als ich ohne zu wissen wie, vor den Ausgang stehe, ist es bereits dämmrig. Ich weiß, dass ich in dieser fremden Stadt übernachten muss, denn in der einbrechenden Dunkelheit würde ich den Weg zum Auto bestimmt nicht mehr finden. Keine Gedanke an meinen Freund streift mich, die Müdigkeit lässt keine Überlegungen zu.
Die Suche nach einer Pension ist wieder mit viel Lauferei verbunden, anscheinend gibt es in dieser Gegend nur Privathäuser und kleine bereits geschlossene Läden. Schließlich finde ich ein Garni, das ein bisschen verwahrlost aussieht, aber für eine Nacht gut genug sein sollte. Erst als ich den Zimmerschlüssel in der Hand halte, erkenne ich dass es eine ziemlich anrüchige Absteige ist, wo sich allerhand seltsame Typen treffen. Ein paar auffällig bunt gekleidete Afrikanerinnen sitzen auf der Treppe und unterhalten sich laut, während sie mich eingehend mustern. Auf dem Flur begegnen mir ein paar Nordafrikaner, die mich ebenfalls mit unverhohlener Neugierde anstarren. Eigentlich möchte ich jetzt wieder gehen, denn die Art wie man mich anschaut beunruhigt mich. Es ist als ob sie sagen möchten, was treibt die denn hier, die gehört nicht zu uns. Aber ich bin zu müde und will nur auf mein Zimmer kommen und schlafen. Das Zimmer ist nur notdürftig eingerichtet und es gibt weder Bad noch Waschbecken. Ich hatte mich mit dem Wirt nicht gut verständigen können, er sprach einen mundartlich gefärbtes Italienisch, das ich nicht verstand und ich wusste, es wäre ein Problem gewesen wieder ein anderes Zimmer zu verlangen. Mich nicht waschen zu können war das Schlimmste, ich fühlte mich durch den Reisestaub schmutziger als ich es wirklich war. Reisestaub das war wie die Beschmutzung durch die Lebenserfahrungen, die sich nicht mehr abwaschen lassen.
Die Gemeinschaftstoilette ist draußen auf dem Gang, sie ist nicht abschließbar, nur eine dünne Schiebewand trennt sie von fremden Blicken. Was tun, ich muss doch ganz dringend, will aber nicht riskieren einem von diesen1 unheimlichen Fremden zu begegnen oder davon sogar gestört zu werden.
Und dann kommt die Rettung aus der Not. Der Druck auf der Blase nimmt zu und ich erwache in meinem Bett. Wie einen Film lasse ich den Traum nochmals im Gedächtnis ablaufen. Was wollte er mir sagen und gab es überhaupt eine Aussage oder war er nur der Reflex eines Besuchs des Botanischen Gartens der ein paar Tage zurück lag? Und der Irrgarten war er als Symbol für eine Lebenslage zuständig, hatte ich mich nicht schon insgeheim von meinem damaligen Lebensgefährten ein Stück zu weit entfernt und hatte ihn, ohne es zu wahrhaben zu wollen, längst schon verloren? Schließlich dann die Szene in der Pension, war das die Angst vor der Entblößung, vor der Preisgabe der intimsten Bedürfnisse, vor der nackten und so unpoetischen Realität? „In diesem Leben, in dem ich mein Schlaf bin, bin ich nicht mein eigener Herr“, schrieb Fernando Pessoa. Und doch sind wir die Geschöpfe unserer Träume, die uns mit ihren geheimen Zeichen und verschlüsselten Botschaften entführen und steuern und uns vielleicht irgendwann in der Zukunft, als Enthüller und Deuter des Erlebten zur Seite stehen. ^





*

Antworten

Zurück zu „Kurzgeschichten“