"Brief an einen Eiferer"; Robert Schrem

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1. Sinnbringerbuch
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Registriert: Do 6. Jun 2013, 17:36

"Brief an einen Eiferer"; Robert Schrem

Beitrag von 1. Sinnbringerbuch »

Mein lieber Herr,

ja, sie haben mir ihre Hand gereicht, eine freundliche Einladung voll kindlicher Lebendigkeit und den Willen bekennend, zu mir herzuwollen. Und an ihrer Tafel sollte ich Platz nehmen, angedacht war ein gemütlicher Plausch, aus dem dann die Dinge erwachen sollten. Nun aber sind sie verletzt, da ich Ihr freundliches Angebot ausschlage. Es mag in Ihrem Leben vielleicht nicht die Regel sein, dass einer weiter seines eigenen Weges zieht, wo ihm doch die süßesten der Speisen und die charmantesten aller Höflichkeiten zu Füßen gelegt wurden. Ich verstehe Ihre Irritation gut, und so will ich Ihnen einige wenige, abschließende Worte sagen, die sie bitte für mehr nehmen möchten.

Sie sprechen so oft von der Liebe und vom Leben. Wie aber ist es Ihnen da möglich, so voller Zorn und Ungeduld gegen die Menschen zu sein, wo sie doch ununterbrochen eine –wie ich hoffe und Ihnen wünschen würde- solch prägnante Fröhlichkeit und Wahrheitsliebe vor sich her tragen? Und woher dieses Urteilen über ihren Nächsten, sagen sie, woher nehmen sie dieses Wissen über die fremden Wirklichkeiten, wo doch das Leben mit nichts so wenig berührt werden kann als mit kritischen Worten? Es sind niemals mehr als nur ganz wenige, mehr oder weniger zufällige Erhellungen in den Missverständnissen: die Dinge sind allesamt nicht so fassbar, nicht so möglich zu beurteilen, wie man es uns seit frühester Kindheit glauben machen will.
Denn sehen sie – wer hätte auch den Kelch des Leids seines Nächsten ausgetrunken? Wer hat die dunkelsten Nächte seines Nächsten überlebt? Wer ging alle seine Wege und musste die Welt so erleben, wie er es aber getan hat? Nein. Da geht viel Unsagbares durch den Äther unserer Tage und niemand anderes als man selbst steht in der Verpflichtung, diesem Unsagbaren so nahe zu kommen als möglich.

Und so in der Kunst: Soll in ihr etwas Eigenes, etwas aus eben dieser Tiefe des Unsagbaren heraus strömen, soll sich aus dem innersten Kern unserer Seele etwas, zu einem Werke verdichtetes in die manifeste Welt hinein biegen, dann darf man seine Konzentration nicht vermengen mit den Wirklichkeiten der anderen, dann muss man sich aufrecht und guten Mutes der größten und angsteinflößendsten aller Einsamkeiten stellen, immer wissend – hier kann niemand hin, hier kann keiner helfen und darf es nicht einmal. Ungestört von der Welt und ihrem Geschrei muss die Seele ihre Ätherarme ausstrecken hin zur Quelle aller Dinge, und wenn viel Gutes und Seltenes zusammenkommt, so gelingt es vielleicht einmal in langer, langer Zeit, ein künstlerisches Werk zu verdichten, welches etwas Eigenes von wirklichem Wert und Bestand besitzt. Selbst die größten von allen schafften in einem langen, ganz und gar ihrer Kunst verschrieben Leben, keine Anzahl solch unerhörter Werke, die über die Anzahl Finger zweier Hände hinausginge. Ja, mein Herr, solch hohem Ziele gilt es, in der Kunst hinterher zu gehen und aller Lohn liegt auf dem Wege selbst. Da ist kein versteckter, wahr werdender Traum am Ende, und der Lohn des Künstlers ist sein Leiden am Schaffen. Hier lebt er, hier stirbt er und wird wiedergeboren in jedem seiner Werke.

Und, lieber Zeitgenosse, verwechseln sie nicht den Dichter mit dem Schriftsteller. Mit nichts werden sie dem Dichten so wenig gerecht wie mit den Fesseln des Handwerks, was die Schriftstellerei ohne jeden Zweifel ist, wenn auch ein künstlerisches, aber eben doch: Handwerk. Beim Dichten aber gibt es keine Grenzziehung zwischen dem Leben und dem Schreiben, der Dichter ist zu jeder Zeit ein Dichter, er kann gar nicht anders. Und er muss ja den Wegen der Welt fern bleiben, um den eigenen Weg der Konzentration zu finden. Den Weg, auf dem er sein Leiden am Leben in allen Dingen sieht und es hieraus beschreibt. Er schreibt, im Gegensatz zum Schriftsteller, ja nicht um die Antworten zu finden; er schreibt vielmehr, um die Antworten loszuwerden. Er muss sich der Antworten entledigen, um nicht gänzlich im immer wieder heran nahenden Wahnsinn sich aufzuerlösen. Groß ist die Zahl derer, die ihrem Schaffensdämon unterlagen, weil sie die zum Schaffen hindrängende Außenwelt mit ihren, dem Geiste des Dichters gefährlichen Giften des Banalen, nicht von ihrem Wege drängen konnten: Hölderlin, Nietzsche, Kleist, Zweig …

Nein, mein Herr, ihr Urteil gegen mich ist hart und nicht gerecht. Sie sehen ja selbst, wie sie nur einen Augenblick durch das, Ihnen von mir geöffnete Schlüsselloch, zu mir herschauen durften, nur um jetzt auf ihrem Wege hinaus ihr Urteil bereits dreimal ändern zu müssen, noch bevor sie das Tor erreichen.
Ihnen einen letzten Rat, begleitet von dem ehrlichen Wunsche, sie mögen ihre, ja wirklich vorhandenen Talente, in ein Frieden und Erfüllung spendendes Leben zu sublimieren wissen: Sollte es Ihnen wirklich um die Sache der Wahrheit gehen und um das Suchen nach Göttlichkeit sein, so rate ich Ihnen dies: Gehen sie in sich selbst! Nirgends finden wir die rechten Stimmen als in uns. Und es ist ja alles schon da. Wir brauchen keine großen Namen, und aller Sturm, sei er noch so machtvoll und erhaben, ist dem Finden des leisen inneren Hauches nur hinderlich. Und trauen sie sich selbst. Aber trauen sie nichts und niemandem außer dem, was in Ihnen aufsteht, wenn sie still sind. Nicht die Vermehrung des Wissens, nicht das Erreichen des noch so hohen Zieles ist es, das sie glücklich machen kann und Ihnen das Gefühl schenkt, angekommen zu sein. Gehen sie hinaus in die Natur, und gehen sie alleine. Lassen sie nicht nur die Menschen zurück, sondern auch ihren Rucksack, in den sie zuvor alle Etikettierungen, alle Bilder und Konzepte hineinsteckten. Gehen Sie hinaus und lassen Sie das Sein durch sich hindurch fließen. Und vergeben sie keine Namen! Erfassen sie alles um sich alleine durch den Atem, aber nicht durch ihr Gehirn. Das Denken verwandelt uns in die Sklaven der Konzepte und entfernt uns von der Schönheit der Dinge. Denken verhindert die Erfahrung der Einheit, statt sie zu fördern. Und verzichten sie auf das Berichten über ihre Erfahrungen. Nur im Schweigen bleibt das Ahnende groß!

Ein wahrhaft klarer und schöner Geist, um den sie doch so bemüht scheinen, ist dann klar, wenn er sich befreit hat von den Wegen der Welt und wenn er sich von ihren Konzepten losgesagt hat. Und er wird dann ein schöner Geist sein, wenn er die Verbundenheit zu aller Schöpfung tief in sich selbst atmen spüren kann; eine Art der Verbundenheit, die sich frei fühlt und unabhängig von jedem Urteil über sich und die das Schicksal nurmehr beachtet als eine nebensächliche Folge von wirklich gelebter, großer Zuversicht. Dies ist eine Freiheit, welche tief in der Seele geboren wird und als Kind großgezogen kraftvoll und unabhängig ist – sich liebevoll immer an der Hand haltend, den Kontakt zueinander niemals abbrechend, komme was wolle. Eine Freiheit, die tagtäglich ihr Erkennen heiligt in der Feier des Lebens, dass ihr lebendiger, atmender, nur mit Fleisch umzogener Geist das größte aller Wunder ist, dass in allem Leben um sich her die Ewigkeit und deshalb sich selbst wiedererkennt.

Und diese Freiheit kann Ihnen kein Buch der Welt verständlich machen, und keine Rede und kein Diskurs können sie zu ihr erwachen lassen. Weil sie ebenso nicht gelehrt werden kann, wie sie nicht gelernt oder verstanden werden kann.
Denn wie alles Wahre, Schöne, Bedeutsame kann sie nur erlebt werden.
Im Leben selbst. Durch das Leben. Im Leben und wegen dem Leben.

Und bedenken sie: Worte sind niemals Wahrheiten, sie können es ja gar nicht sein. Worte sind nur Wegweiser, das ist alles.
Verwechseln sie nicht das Land mit der Landkarte, und noch einmal – verzichten sie auf das Berichten von unterwegs, bezwingen Sie ihre Eitelkeit:

„Nur im Schweigen bleibt das Ahnende groß!“ Sonst flüchtet es und sie müssen von vorn beginnen. Und wer will das schon?

Schon die Alten wussten darum, in der Kunst, im Leben:
Wissen. Wagen. Wollen. Schweigen.

Leben sie wohl!

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