Steine, Text&Bild Roland Förster

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Roland Förster
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Registriert: Mo 2. Aug 2010, 14:58

Steine, Text&Bild Roland Förster

Beitrag von Roland Förster »

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Steine

Am steinigen Ostseestrand gehen wir gemeinsam ein Stück unseres Weges.
Du erzählst mir davon, dass Du von jedem Urlaubsort Steine mit nach Hause bringst.
Und noch während Deine Worte mich erreichen,
erhält ein großer schwarzer Stein Deine ganze Aufmerksamkeit.
Du fühlst Dich magisch von Ihm angezogen und hebst Ihn ohne zu zögern mit beiden Händen auf.
Aus Deinem Bauch heraus, höre ich Dich sagen:

„Das ist mein Stein.“

Erst jetzt betrachtest Du Ihn näher.
Du beginnst seinen Körper mit Deinen Händen zu begreifen.
Sensibel gleiten Deine Finger über seine Haut, um sie zu erfühlen.
Sie ertasten glatte und raue Flächen, scharfe Kanten und spitze Ecken, Bruchstellen und Kerben.
Auch seine Temperatur nimmst Du über die feinfühligen Sensoren Deiner Hände wahr.
Du drehst und wendest ihn.
Urplötzlich erschrickst Du jedoch bis ins Mark.
Es ist Dir bewusst, dass sein Körper eine dunkelrot blutende Fleischwunde besitzt.
Sie ist etwa so groß, wie der Fingernagel eines Daumens.
Eine wirklich beachtliche Größe, wenn man bedenkt,
dass der Stein etwa die Maße von drei aneinander gelegten Fäusten hat.
Dein Verstand setzt in Sekundenschnelle alle gewonnen Bilder um.
Analysiert die Situation und lehnt ab.
Angst erfüllt Dich und alles in Dir schreit voller Panik:

„ Nein, dass ist nicht mein Stein.
Wunden, - damit will ich nichts mehr zu tun haben.
Leid, Schmerzen, aufgebrochene Haut und Verletzung der eigenen Grenzen?
Nein, davor graut es mich.
Diesen Stein mag ich nicht nach Hause tragen.
Ich möchte Ihn nicht einmal mehr betrachten.
Ich stoße Ihn von mir und suche mir einen heilen Stein.“

Du stößt ihn jedoch nicht einfach achtlos von Dir.
Vorsichtig stellst Du Ihn auf einen am Strand liegenden Findling.
Doch nahezu fluchtartig begibst Du Dich auf die Suche nach einem neuen Stein.
Es fällt mir dabei auf, dass alle Steine, die Du Dir aussuchst, sehr groß und schwer sind,
- und insgeheim belächle ich Dich dafür verachtend.
Hochmütig, fühle ich mich Dir so unendlich überlegen.

„Warum suchst Du Dir nur so große, schwere Steine aus, Du Narr!
Die schwere Last musst Du doch tragen.
Sieh doch hin, wie klein und leicht meine Steine sind.
Wie klug ich doch bin. Trage ich doch nur einen Bruchteil an Gewicht
und doch erfüllen meine Steine denselben Zweck.
– Und außerdem kann ich viel mehr davon mit nach Hause nehmen.“

Kaum gedacht hinterfrage ich die Situation meiner furchtbaren Überheblichkeit.
Zwei Männer tragen Steine.
Ein Gleichnis?

Dir ist das Gewicht der Steine, die Du trägst gleichgültig, weil Du sie mit Liebe trägst.
Du möchtest den Einen der Frau Deines Herzens schenken.
Andere sind für Deine Kinder bestimmt.
Aus einigen wünscht Du Dir Kraft für Dich selbst.
Mit Liebe getragen verspürst Du Ihr Gewicht nicht als Last.
Du weißt um die Bedeutung, - den Sinn des Tragens.
Du möchtest Deinen Liebsten und Dir Freude bereiten.
Deshalb trägst Du Ihr Gewicht,- Ihre Last, mit Freude.
Mit Freude und Liebe im Gepäck kann man alle Last der Welt ertragen.
Wer ist also jetzt der Narr?
Verzeih mir mein Freund!
Der leichteste Stein kann zur tonnenschweren Last werden,
wenn er mit falschem Stolz,
Eitelkeit und Überheblichkeit getragen wird.
Auf dem Rückweg suchst Du erneut den verwundeten Stein.
Du hebst Ihn liebevoll auf und Nimmst ihn an Dich.
Ich höre Dich laut und deutlich sagen:

„Das ist mein Stein. Blut und Wunden, - das bedeutet zu leben.
Durch getragenes Leid erkennt man die Freude. Das ist mein Stein.
Den trage ich mit Geist, Seele und Leib liebend nach Hause.“




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