Eine leise, ganz unauffällige, - ja unbemerkte Rettung

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Roland Förster
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Eine leise, ganz unauffällige, - ja unbemerkte Rettung

Beitrag von Roland Förster »

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Eine leise, ganz unauffällige -
ja, unbemerkte Rettung


Ich stehe am Ufer des Gardasees und betrachte das schöne Panorama. Da ich das erste Mal hier bin, sauge ich gleich einem trockenem Schwamm erst einmal alle neuen Eindrücke, Farben, Geräusche, Töne und Gerüche, in kleinen feinen Dosierungen in mein Bewusstsein auf, und stelle bestätigend und sehr zufrieden fest:

„Es ist wirklich schön hier.“

Meine Frau Heike, die schon viele Male hier zu Gast war, schwärmte mir ja bereits jahrelang in höchsten Tönen, von dem mediterranen Klima, wie auch von der ganz besonderen landschaftlichen Verschmelzung von Bergen, Vegetation und See vor.
Es dauerte dennoch sehr lange, bis ich Sie endlich erhörte, und mit Ihr und mit zwei unserer drei Jungs, Lukas und Jannis, gemeinsam an den Bergsee fuhr, um jetzt selbst zu erfahren, welchen Zauber er auf seine Besucher ausübt. Warum entnahm ich dies alles nur so spät aus Ihren euphorischen Schilderungen?
Männer eben. Mann eben. Ich eben.


Mein Sohn Nico ist bei seiner Mutter geblieben. Heikes Tochter Anne befindet sich auf einer Sprachreise. Meine Frau und die beiden Jungs stehen etwas abseits von mir und erkunden ebenfalls Ihre neue Umgebung.
Ich stehe auf einem Steg, vor einer Anordnung von großen Felsbrocken. Ein kleiner Trichter aus Gestein gebildet verlockt zur Überprüfung nach Fischen. Das relativ klare Wasser gewährt Interessierten wie mir Einblick. Als ich mich vorbeuge merke ich wie glitschig es rund um den etwa 70-90 cm Durchmesser großen Trichter ist. Das Wasser des Sees ist in wellenartiger Bewegung über den Steinen sehr aktiv. Ich bändige aus Vorsicht meine Neugier und setze mich auf einen trockenen Stein in unmittelbarer Nähe.

Es ist kurz vor dem Abendessen, die Abendsonne steht schon sehr tief, jedoch in wundervoller Farbenpracht. Plötzlich taucht eine italienisch sprechende Mutter mit Ihrem in etwa 5-7 jährigen Sohn in Badebekleidung auf. Sie scheinen ebenfalls Touristen zu sein. Der Junge erkundet ebenfalls sofort voller Neugier den Steg und die Felsengebilde am Ufer. Natürlich bleibt ihm die trichterförmige Gesteinsanordnung nicht verborgen. Es zeigt sich sofort. Diesem Jungen liegt es ebenfalls in den Genen. Das Erkunden, das Jagen, das Fischen. Seine Mutter ermahnt Ihn kurz, sich ja nicht allzu hastig den Steinen zu nähern. Ich verstehe und spreche zwar kein Italienisch, doch die Art und Weise, wie dies besorgte Mütter, überall auf der Welt in ähnlicher Weise tun, ist nahezu international verständlich. Mimik und Gestik der Mutter sind eindeutig, - und recht viel sagend.In etwa wird es sicher folgendem Wortlaut entsprechen:

„ Gehe bitte nicht zu nah an die Steine, sie sind glitschig.“
Oder auch: „Pass auf, dass Du nicht ins Wasser fällst.“

Jedoch getreu dem Motto “Kinder lernen stets aus Ihren eigenen Fehlern und Erfahrungen“ ergibt sich schicksalhaft folgende wirklich lebensgefährliche Situation für den kleinen Jungen. Geh- und Blickrichtung von Ihrem Kind abgewandt geht die Mutter des Jungen den Steg zurück und blickt in die vor Ihr liegende Vegetation.
Sie ist sich anscheinend sicher, dass Ihre eindringliche Ermahnung sofort bei Ihrem Sohn fruchtete. Sie vertraut anscheinend fälschlicherweise zudem auf die bedingungslose Folgsamkeit Ihres Kindes. Doch es kommt wie es kommen muss, der Jagdtrieb des kleinen Jungen lässt ihn alle Ermahnungen in Bruchteilen von Sekunden vergessen. Forsch und ungestüm erkundigt er sein Umfeld. Lässt sich auch nicht von meiner Anwesenheit beeindrucken, - oder gar stören.

Jungs und Wasser. Jungs und Jagen, - oder Jungs und Fischen.
Das hört niemals auf, wenn Du es in Dir hast. Niemals.

Da kannst Du noch so alt werden. Knabe, Jugendlicher, Erwachsener, Vater, Großvater, Urgroßvater, Greis. Kein Alter ist davor gefeit. Und wenn es Dich erfasst, dann schaltest Du runter. Auf eine andere Ebene des Denkens und des Handelns.
Und fehlt Dir dabei die Erfahrung, dann kannst Du Dich auf dieser Ebene leicht verlieren. Der Fokus Deines Beobachten Deines Wirkens ist ganz und gar auf Jagderfolg programmiert. Deine Umwelt nimmst Du nur sehr eingeschränkt war.
Du bist dann gänzlich eins mit Deinem tun. Ganz und gar, -bei Dir und Deinem Vorhaben. Erfahrene Jäger haben natürlich im Laufe der Jahre gelernt einen Teil Ihrer Aufmerksamkeit für vorhersehbare und naheliegende Gefahren zu reservieren.
Aber auch für unvorhergesehene und plötzliche Gefahren mobilisieren sie stets einen Teil Ihrer Konzentration. Doch auch sie müssen es stets trainieren, sich nicht plötzlich gänzlich in Ihrem Tun zu verlieren. Es ist wichtig auch in solchen schwachen Momenten, schnell wieder wachsam und bereit zu sein. Bei einem 5-7 jährigen Jungen ist dies natürlich keinesfalls zu erwarten. In dem Augenblick, als seine Mutter Ihren Blick und Ihre volle Aufmerksamkeit von Ihrem Sohn abwendet, nimmt das Schicksaal seinen Lauf. Ich selbst sehe zu diesem Zeitpunkt, ebenfalls abgelenkt, für einen kurzen Zeitraum der Mutter des Jungens nach. Folge Ihrem Rückweg neugierig mit meinen Augen. Fort, - über den Steg. Etwa 6 Meter von uns entfernt bleibt Sie stehen. Uns noch immer abgewandt. Rückwirkend betrachtet hat auch sie wirklich nur für einen kurzen, jedoch absolut unachtsamen Zeitraum, die Ihrem Kind sonst sicher stets wachsame Aufmerksamkeit entzogen. Sie schenkt diese, in diesem Moment so besonders wichtige und notwendige Aufmerksamkeit, der Schönheit der wundervollen, vielfältigen und farbenprächtigen Umgebung.
Angereichert von erfüllenden Gerüchen schweifen Ihre Gedanken fern ab von Ihrem Kind.

Da! Was war das? Oh Gott, hilf mir,- hier stimmt was nicht. Gefahr in absoluter Nähe. Gefahr aber welcher Art? Augenblicklich hatte ich direkt neben mir ein kurzes, leises, eintauchendes Geräusch wahrgenommen. Ruckartig drehe ich mich um. Ein einfach nur furchtbar schreckliches Bild offenbart mir unmissverständlich, was ich bereits instinktiv anhand des Geräusches vermutet hatte.

Er hatte sich wohl auf die Steine des Trichters begeben. Um die Fische in diesem Natursteinbecken besser entdecken zu können, beugte er sich sicher zu weit nach vorne. Auf dem glitschigen Untergrund verlor er so das Gleichgewicht und tauchte leise und schnell Kopfüber in den Trichter. Seine Beine stehen wie bei einem Kopf- bzw. Handstand kerzengerade in die Höhe. Die zierlichen Arme liegen eng am Körper. Sie können nicht fassen, - nicht greifen. Kein Handeln ist für ihn mehr möglich.
Keine eigene Rettung mehr umsetzbar. Sein Kopf, - und somit sein Mund zum Atem holen, ist etwa 70 cm unter Wasser. Alles geschah anscheinend so leise, dass seine Mutter bis jetzt keinerlei Notiz davon genommen hatte. Das kleine, enge und tiefe Felsenbecken gibt ihm keinerlei Chance sich abzurollen, - oder sich mit dem Kopf nach oben zu drehen. Er ist dabei jämmerlich zu ertrinken, wenn Ihm jetzt nicht rechtzeitig geholfen wird. Bereits im Umdrehen hatte ich instinktiv diese tödliche Gefahr verspürt und erkannt. In Bruchteilen von Sekunden habe ich mich Ihm soweit genähert, dass ich eines seiner zappelten Beine ergreifen kann. Mit festem Griff oberhalb seines Knöchels, ziehe ich Ihn mit einem kräftigen Ruck heraus. Im vollen Schwung greife ich mit der anderen Hand nach, und stelle ich Ihn sofort auf seine Beine.

Da steht er jetzt triefend nass vor mir. Wird er weinen? Schreien? Prusten, - und laut nach Luft schnappen? Nichts dergleichen geschieht. Ich warte, und frage mich was jetzt passieren wird?

Dies alles geschieht so unbeschreiblich rasend schnell, - und seltsamer Weise auch so leise, dass seine Mutter, die der Situation noch immer abgewandt steht, überhaupt nichts bemerkt. Der Junge steht kurz zu tiefst geschockt da.
Er schaut mir für Sekunden, ohne auch nur einen einzigen Ton von sich zu geben, fragend, - aber auch unendlich dankbar, tief in meine Augen. Dann läuft er schweigsam auf seine Mutter zu. Sie hatte noch immer mit dem Rücken zu Ihm stehend, eineAnrede für ein Gespräch mit Ihm begonnen und beendete Ihren Satz allmählich, um die Antwort Ihres Sohnes abzuwarten. Er hatte sich wohl blitzschnell entschieden seine Mutter auf dem schrecklichen, lebensbedrohlichen Vorfall nicht aufmerksam zu machen. Es war Ihm wohl sehr schnell klar, was geschieht, wenn sie von der Situation soeben erfahren würde. Dabei hatte er keinerlei Regungen im Gesicht. Sprach nur über seine Augen zu mir. Setzte keinerlei Mimik und Gestik hierfür ein. Wir verstanden uns wortlos. Hielten zusammen in der unmittelbaren Not, und auch darüber hinaus, - danach. Seltsam wie das Leben oft verläuft.

Ich werde vielleicht nie erfahren, ob er Ihr den Vorfall später einmal in Ruhe erzählt,
oder ob er ihn niemals erzählen wird. Aufgewühlt bleibe ich alleine zurück.
Auch meine Frau und die Kinder hatten von dem Vorfall der Rettungsaktion nichts mitbekommen, da alles so rasend schnell und nahezu lautlos geschah.
Aufgeregt, stolz und gänzlich erfüllt von dem großem Glück und voller Freude den kleinen Jungen gerettet zu haben, erzähle ich später meiner Frau davon.

Ich hoffe der kleine Fischer bzw. Jäger hat aus dieser Erfahrung seine Lehren gezogen. Und sicher ist er heute ein gesunder und glücklicher junger Mann, der sich ab und an, an diese sonderbare Lebenssituation für uns beide erinnert.
Ich tue es jedenfalls des Öfteren.

Gott sei stets mit ihm, - wie auch seinerzeit. Er sendete ihm Hilfe in der Not. Sendete seine Hilfe dem Hilfesuchenden, und auch mir, - dem Helfer.
Und falls Du eines Tages diese Zeilen liest „kleiner Jäger vor dem Herrn“
hoffe ich, dass es Dir noch immer gut geht.
Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann wieder.

Das wäre wunderschön.




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