Bauchladen, Text&Bild Roland Förster
Verfasst: Di 20. Sep 2011, 23:40
Aus: Sieben Worte - Sieben Texte
1.) TAO - 2.) BAUCHLADEN - 3.) ZERRISSENHEIT - 4.) FREIRAUMGEWINN - 5.) GIPFEL - 6.) BLUT - 7.) KOSMOS.
Bauchladen
Blut wohin du auch siehst. Überfließend.
Schwallartig verspritzt es sich gerade
verschwenderisch aus deinem Hals.
Dein Kopf liegt abgetrennt am Boden.
Dein Herz haben sie dir in Sekundenschnelle herausgerissen.
Pulsierend schlagend zerteilt es sich zwischen ihren Schneidezähnen.
Welch wahnsinnige Zerrissenheit.
Deine Hände und Füße, Arme und Beine,
zucken wild vor sich hin.
Kein Begreifen mehr. Kein Verstehen.
Von wegen Tao, - mein Weg.
Ihr allerletztes Aufbäumen.
Dein Mund öffnet sich. Lippen zittern und beben.
Doch kein Wort erreicht mehr ihren Kosmos.
Alle deine um dich herumstehenden Freunde baden sich gerade
in deinem warmen Lebenssaft. Berauschen sich an dir.
Feiern deine Enthauptung. Dein Sterben.
Sie haben dir sogleich deinen Leib aufgeschnitten.
Verspeisen soeben Lungen und Nieren.
Deine Leber in ihren gierigen Händen.
Hirnmasse quillt aus deinen leeren Augenhöhlen,
während deine beiden Augäpfel in verschiedenen Richtungen
davon kullern. Blick- und tränenlos.
Die kostbaren Waren deines Bauchladens haben sie
binnen weniger Sekunden geplündert.
Der eine nahm sich dein Selbstwertgefühl.
Andere deinen Mut. All dein Sinn war so sehr begehrt,
dass sie sich wie Raubtiere kämpfend darum stritten.
Frauen ergriffen sofort deine Liebe, Zuneigung,
Aufmerksamkeit und deinen Humor.
Männer deine Verlässlichkeit, deine Kraft,
Ausdauer und deinen Siegeswillen.
Ein Ausverkauf.
Einer banalen Wühltischaktion nicht unähnlich.
Und nun liegen sie da. All deine verbliebenen Ladenhüter.
Blutverschmiert Sauereien.
Mit Urin- und Fäkalien getränkte Todesangst.
Verlustängste. Schweißgetränkte, stinkende Unsicherheiten.
Lang anhaltender Zweifel. Peinigende Sorgen und Kummergefühle.
Deine verrückten Alpträume.
Dein täglicher Wahn- und Irrsinn.
Gier. Hass. Verrat.
Dein Falschliegen. Sich irren. Versagen.
Irgendwie will Niemand hiervon zugreifen.
Das mag wohl daran liegen, dass ein Jeder – eine Jede
bereits schon selbst am eigenen Bauchladen zu schwer
zu tragen hat.
Da greift es sich letztendlich ja auch viel lieber zu den
wirklich begehrten Lebensgütern.
Und die freundliche Stimme an der Kasse allen Seins
fragt uns fortwährend: „War alles zu Ihrer Zufriedenheit?“
Ich aber frage Euch:
*Ist das nicht der Gipfel an Lebenskonsum?*